Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)

Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)

Titel: Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
Autoren: Friedrich Gerstäcker
Vom Netzwerk:
angewiesen hatte, an dem Lager, auf dem eine bleiche Mädchengestalt starr und regungslos ausgestreckt lag, standen zwei Frauen, – Mrs. Smart und Nancy, und jener liefen, während sie mit gefalteten Händen vor sich niedersah, die klaren, hellen Tränen über die Wangen hinunter, indes sich Nancy zu Füßen des Bettes niederkauerte und die großen dunklen Augen fest und ängstlich auf die Züge der – Leiche geheftet hielt. »Ich bringe ihn, Marie, ich bringe ihn!« schallte die wilde, schreiende Stimme des Rasenden in das Zimmer der Toten. »Hierherein, hierher, und jetzt auf die Knie nieder vor einer Heiligen! Herein hier, Bestie!« Und mit gewaltigem Griffe, dem selbst der in verzweifelter Angst sich sträubende Verbrecher nicht widerstehen konnte, riß er den Verräter in den schmalen Hausgang und in die erste offene Tür, die er erreichte. Mrs. Smart und Nancy stießen einen Schrei der Angst und Überraschung aus, und Tom, der den Verbrecher nachschleppte, schlug jetzt selbst erschreckt die Augen auf und starrte verwundert umher. Sein Blick flog über die beiden entsetzt zu ihm aufsehenden Frauen.
    Da erkannte er das Bett, das in der dunkelsten Ecke stand. Der Bootsmann zuckte wie von einer Kugel getroffen zusammen; – er sah weiter nichts mehr als jene blasse, rührende Gestalt. – Seine Hand ließ unbewußt in ihrem Griffe nach, mit dem sie ihr Opfer bis dahin in eisernen Fängen gehalten hatte. Sander aber schlüpfte, den vielleicht nie wiederkehrenden Augenblick zur Flucht benutzend, unbeachtet rasch aus der Tür und ins Freie.
    Tom sah ihn nicht mehr. – Als ob er die vielleicht nur Schlummernde zu wecken fürchte, trat er auf das Bett zu, faltete die Hände und schaute ihr lange still und ernst in das liebe bleiche Angesicht. Viele, viele Minuten stand er so; kein Laut entfuhr seinen Lippen, kein Seufzer seiner Brust, und die Frauen wagten kaum zu atmen; der stumme Schmerz des Armen hatte etwas gar zu Ehrfurchtgebietendes und Gewaltiges; – sie konnten es nicht übers Herz bringen, ihn zu stören. Endlich beugte er langsam den Kopf zu der Toten hinab; ein einzelner Wehelaut: »Marie!« rang sich aus seiner Brust, und laut schluchzend sank er neben der Leiche in die Knie nieder.

Kapitel 37
    Wenn die wilden und zerstörenden Äquinoktialstürme ausgetobt, den Wald recht tüchtig durchgeschüttelt und die heißen, drückenden Sommerlüfte mit polterndem Brausen gen Süden gejagt haben; wenn die Wildnis ihr in den wundervollsten Farben prangendes Herbstkleid angelegt hat; wenn der Sassafras seine blutroten Flecken bekommt, die den Jäger so oft irreführen und necken; wenn die Hickoryblätter, während das übrige Laub sich noch einmal, um nur nicht alt zu scheinen, von frischem schminkt und putzt, ganz allein jenes herrliche helleuchtende Gelb annehmen; wenn die Wandervögel lebendig werden und die fallenden Eicheln und Beeren das Wild schrecken und scheu machen: dann beginnt im nördlichen Amerika die schönste, herrlichste Zeit, – der ›indianische Sommer‹, und blau und wolkenlos spannt sich das ätherreine Firmament monatelang über die fruchtbedeckte Erde aus.
    Dann kommt die Zeit, wo im fernen Westen der naschhafte Bär Fensterpromenaden unter den Weißeichen macht, die schönsten und reichsten aussucht, hinaufklettert und mit Kennerblick und leisem, behaglichem Brummen die schwerbeladenen Äste faßt und niederbricht. Dann zieht der Hirsch auf den Fährten der Hirschkuh durch den Wald, die Truthühner tun sich in Völker zusammen und geben sich nicht einmal mehr die Mühe, ihrer Nahrung wegen in die Bäume hinaufzufliegen; denn die süßesten, herrlichsten Beeren decken ja den Boden. Das graue Eichhörnchen raschelt im Laub und hascht nach den fallenden Nüssen; der blaue Häher schreit und lärmt in den Zweigen, und die Taube streicht in ungeheuren Zügen gen Süden. Die ganze Natur lebt und atmet und wirkt und webt sich aus weichen, welkenden Blättern, in die sie gar sinnig Früchte und Ähren hineinflicht, ihr warmes, behagliches Winterkleid, ihren Schutz gegen den kalten, unfreundlichen Nordwind.
    Es war an einem solchen milden, lauen Sonnentag zu Ende des Monats Oktober, als im Staate Georgia zwei Reiter auf der breiten, trefflichen Straße dahintrabten, die von dem kleinen Städtchen Cherokee aus, dicht an dem rasch dem Golfe zuflutenden Apalachikola hinauf, einer großen, wohlbestellten Plantage zuführte. Vor dem Gartentor des reizend gelegenen Herrenhauses, neben dem aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher