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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos
Autoren: Michael Peinkofer
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»Mein Vater hat mich zu seiner Vertretung geschickt.«
    »Auch in diesem Punkt sind die Statuten eindeutig. Nur anerkannten Gelehrten ist der Zutritt zu diesem Symposion gestattet. Aus alter Verbundenheit zu Ihrem Vater haben wir in Ihrem Fall eine Ausnahme gemacht, aber ich fürchte, das war ein Fehler.«
    »Aber …«
    »Mit Ihrem Erscheinen«, fuhr Guillaume unbeirrt fort, »haben Sie Ihrem Vater keinen guten Dienst erwiesen, Lady Kincaid – und wenn ich offen sein soll, bezweifle ich, dass er Sie dazu autorisiert hat.«
    »Wollen Sie behaupten, ich wäre ohne Vaters Wissen hier?«
    »Der Verdacht drängt sich auf.«
    »Das ist eine infame Unterstellung«, beschwerte sich Sarah.
    »Dann beweisen Sie uns das Gegenteil«, verlangte Hingis grinsend. »Verraten Sie uns, wo sich Ihr Vater gegenwärtig aufhält, und retten Sie damit sowohl seinen Ruf als auch den Ihren. Andernfalls müssen wir Sie auffordern, das Auditorium unverzüglich zu verlassen.«
    Obwohl man ihr in London eingeschärft hatte, dass es sich für eine Dame von hohem Rang nicht schickte, biss Sarah sich auf die Lippen.
    Jetzt erst erkannte sie das ganze Ausmaß von Hingis’ Ränkekunst auf der einen und ihrer eigenen Naivität auf der anderen Seite. Der Disput hatte von Anfang an nur darauf abgezielt, sie in Zugzwang zu bringen. Gardiner Kincaids Konkurrenten wollten wissen, woran er arbeitete, und unabhängig davon, was Sarah ihnen antwortete: Sie würde ihrem Vater auf jeden Fall schaden. Wenn sie weiterhin so tat, als wollte sie die Wahrheit für sich behalten, würde man Gardiner Kincaid aus dem Forschungskreis ausschließen – ebenso, wenn sie zugab, dass auch sie über seinen Aufenthalt nicht informiert war.
    Es widerstrebte Sarah, keine Wahl mehr zu haben, und der Gedanke, dass Ihr Vater ihretwegen einen Nachteil erlitt, war ihr unerträglich. Sie war nach Paris gekommen, um ihn auf dem Symposion würdig zu vertreten, und nicht, um alles zu zerstören, wofür er die letzten zehn Jahre hart gearbeitet hatte.
    Sarah war klar, dass es nur eine Möglichkeit gab, wie sich Gardiner Kincaids Name reinhalten ließ, eine Möglichkeit freilich, die das Ende ihrer eigenen akademischen Karriere bedeutete, noch ehe sie überhaupt richtig begonnen hatte. Dekanatssprecher Guillaume hatte ihr den Weg gewiesen, und ihrem Vater zuliebe war Sarah bereit, diesen Weg zu beschreiten. Denn bei allem, was die Archäologie ihr bedeutete – ihre persönliche Ehre lag ihr noch mehr am Herzen …
    »In diesem Fall«, sagte sie so leise, das nur die obersten Gelehrten in den ersten Reihen sie verstehen konnten, »ist es wohl an der Zeit, Ihnen allen ein Geständnis zu machen, meine Herren. Monsieur Guillaume hatte recht, was seinen Verdacht betraf.«
    »Wie dürfen wir das verstehen?«, erkundigte sich Hingis.
    »Mein Vater weiß nicht, dass ich hier bin«, erklärte Sarah mit fester Stimme, »und er weiß auch nichts von dieser Zusammenkunft.«
    »Aber – wie ist das möglich?«, fragte Guillaume. »Die Einladungen dazu wurden bereits vor einem halben Jahr versandt.«
    »Ich weiß.« Sarah nickte. »Ich habe den Brief abgefangen, mit dem Vorsatz, die Abwesenheit meines Vaters für mein eigenes Vorankommen zu nutzen. Leider ist dieses Vorhaben kläglich gescheitert, und ich bitte Sie und ihn, mir zu verzeihen. Meinen Vater trifft keine Schuld an seinem unentschuldigten Fehlen, verehrte Messieurs – mir allein ist alles anzulasten.«
    »Nun«, erwiderte der Sprecher des Dekanats einigermaßen verblüfft, »wenn das so ist …«
    Die Gelehrten begannen miteinander zu tuscheln. Sarah schaute in empörte Mienen. Nasen wurde gerümpft und Brauen entrüstet hochgezogen, während die Mitglieder des Kreises sich berieten. Nur einer nahm am allgemeinen Disput nicht teil – Friedrich Hingis.
    Über die ergrauten Häupter seiner Kollegen hinweg sandte er Sarah einen Blick, der nicht schwer zu deuten war. Der intrigante Gelehrte hatte gehofft, Gardiner Kincaid zu diskreditieren und womöglich auch in Erfahrung zu bringen, woran sein Erzrivale arbeitete. Dabei hatte er geglaubt, ein leichtes Spiel zu haben – dass Kincaids Tochter es vorziehen würde, sich selbst zu belasten, ehe sie ihren Vater offener Kritik aussetzte, damit hatte Hingis nicht gerechnet. Wohl deshalb, dachte Sarah, weil er selbst zu einer solchen Handlung niemals fähig gewesen wäre. Es war ein stiller Sieg für Sarah – und zugleich einer, der zu einem hohen Preis erkauft wurde, denn das Gremium
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