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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos
Autoren: Michael Peinkofer
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für die abendländische Kultur ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Oder sollte Ihnen entgangen sein, dass er die erste Großbibliothek der Geschichte gegründet hat?«
    »Im Gegenteil, Monsieur … «
    »… Hingis«, vervollständigte der Angesprochene, dessen Schnurrbart vor Zorn bebte. »Dr. Friedrich Hingis vom Archäologischen Institut der Universität Genf.«
    Hingis.
    Sarah kannte den Namen. Ihr Vater hatte ihn wiederholt erwähnt. Hingis war ein Schüler Schliemanns, was bedeutete, dass er auf Gardiner Kincaid nicht gut zu sprechen war …
    »Im Gegenteil, Dr. Hingis«, nahm Sarah den Fehdehandschuh auf, den der Schweizer Gelehrte ihr so unvermittelt hingeworfen hatte. »Wie Sie meinen Ausführungen entnehmen konnten, sind uns Assurbanipals Verdienste um die abendländische Geistesgeschichte durchaus bekannt. Allerdings bezweifelt mein Vater, dass Assurbanipal der erste Bibliotheksgründer war, den das Altertum kannte. Diverse Quellen deuten darauf hin, dass es schon zu wesentlich früherer Zeit bedeutende Schriftensammlungen in Ebla und Hattusa gab. Und mein Vater nimmt weiter an, dass auch in Assur selbst eine Bibliothek existierte, die bereits von Tiglatpileser eingerichtet wurde, und zwar rund ein halbes Jahrtausend zuvor.«
    »Er nimmt es an!«, schmetterte Hingis spöttisch in das weite Halbrund des Hörsaals. »Und hat er dafür auch schlüssige Beweise vorgelegt?«
    »Durchaus«, versicherte Sarah mit einem Lächeln, das ebenso charmant wie hintergründig war, »und ich nahm eigentlich an, ich hätte die vergangenen beiden Stunden damit zugebracht, Ihnen diese Beweise zu erläutern …«
    In den oberen Rängen, wo die Erstsemester saßen, die mit den Regeln der akademischen Ordnung noch wenig vertraut waren, wurde laut gelacht. Weiter unten ließ sich verhaltener Applaus vernehmen, und einige der Gelehrten in den vordersten Reihen bedachten Hingis mit tadelnden Blicken. Dem Schweizer wurde bewusst, dass er sich bloßgestellt hatte, und er errötete. Mit gehetztem Blick schien er einen Weg aus seiner peinlichen Lage zu suchen – und fand ihn prompt …
    »Ich habe Ihnen durchaus zugehört«, versicherte er, allem Anschein zum Trotz, »dennoch bin ich nicht bereit, den Theorien Ihres Vaters in allen genannten Punkten zu folgen.«
    »Das steht Ihnen frei«, erwiderte Sarah gelassen. »Aber ich möchte zu bedenken geben, dass die Sammlung Assurbanipals, von der wir seit der britischen Grabung in Ninive wissen, weder eine Bibliothek im modernen noch eine im Sinn der antiken Tradition gewesen ist. Es war vielmehr eine Privatsammlung, einzig und allein dazu angetan, den Bedürfnissen des Herrschers zu dienen.«
    »Das schmälert nicht die Bedeutung der Tat«, wandte Hingis ein.
    »Wohl nicht, aber sie verdient auch nicht den Stellenwert, den wir ihr bislang eingeräumt haben. Um zu seinen Beständen zu gelangen, hat Assurbanipal rücksichtslos die Bestände anderer Bibliotheken, sei es in Assur oder in Babylon, geplündert. Und wir dürfen annehmen, dass er dabei ebenso wenig zimperlich zu Werke ging, wie er es bei der Festigung der Reichsgrenzen getan hat – ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an sein Vorgehen während des babylonischen Aufstands.«
    »Assurbanipal tat, was zur Sicherung seiner Herrschaft nötig war«, hielt Hingis dagegen. »Wie uns die Geschichte lehrt, sind bisweilen Opfer nötig, um die Vision von einem historisch bedeutsamen Großreich Realität werden zu lassen.«
    »Die Vision von einem historisch bedeutsamen Großreich?« Sarah hob die Brauen. »Wollen Sie behaupten, dies wäre Assurbanipals Ziel gewesen?«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich sehr bezweifeln möchte, dass die altorientalischen Herrscher an ihren Nachruhm dachten«, erklärte Sarah. »Was immer diese Männer taten, geschah aus persönlicher Gier nach Reichtum und Macht, und dazu war ihnen jedes Mittel recht.«
    »Woher wollen Sie das wissen? Das Assyrerreich war unter Sargon das größte, das es bis dahin auf Erden gegeben hatte, und es ist völlig unstrittig, dass die Assyrer den von ihnen unterworfenen Völkern Frieden und Stabilität gebracht haben, dazu eine Kultur, die zur damaligen Zeit in der Welt führend war. Wer möchte ernstlich bestreiten, dass dies eine Vision von historischer Bedeutung ist?«
    Diesmal war es Hingis, der Beifall erntete, vor allem von Seiten seiner ergrauten Kollegen, aber auch von den Rängen. Einige Professoren erhoben sich gar von ihren Sitzen, um ihrer Zustimmung Ausdruck zu
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