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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos
Autoren: Michael Peinkofer
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verleihen.
    »Eigenartig«, sagte Sarah, nachdem der Applaus verebbt war, »wieso habe ich den Eindruck, dass es bei diesem Disput nicht wirklich um das Reich der Assyrer geht?«
    »Vielleicht deshalb, weil diese Thematik sehr viel aktueller ist, als Sie es sich vorstellen können«, konterte Hingis, was erneut für lautstarke Zustimmung sorgte.
    »Offensichtlich«, knurrte Sarah mit Blick auf die eifrig nickende Professorenriege.
    »Wenn ich Sie recht verstanden habe«, fuhr der Schweizer fort, der jetzt erst richtig in Fahrt zu kommen schien, »behaupten Sie, dass die Dominanz einer Kultur über eine andere etwas Verwerfliches ist, dessen sich die Geschichtsschreibung im Nachhinein schämen müsste.«
    »Zunächst einmal«, wandte Sarah mit ruhiger Stimme ein und versuchte erneut ein Lächeln, auch wenn es ihr angesichts der zunehmend kritischen Blicke schwerfiel, »handelt es sich nicht um meine Theorien, sondern um die meines Vaters, die ich hier in aller Bescheidenheit vorgetragen habe. Dennoch bin ich wie er der Ansicht, dass kulturelle Dominanz kein angeborenes Privileg ist.«
    »Was soll das heißen?« Einer der Professoren, der einen Lehrstuhl in Cambridge bekleidete und wie Sarah als Gast am Symposion teilnahm, sprang auf. »Will Ihr Vater etwa die Rechtmäßigkeit der kolonialen Idee in Zweifel ziehen? Jeder weiß, dass die moderne Welt nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen und dafür zu sorgen, dass die primitiven Völker dieser Welt mit den Segnungen von Fortschritt und Technik bekannt gemacht werden. Nicht von ungefähr engagiert sich Großbritannien an vielen Schauplätzen dieser Welt, und unsere französischen Freunde« – er nickte gönnerhaft in Richtung seiner Pariser Kollegen – »nehmen seit dem vergangenen Jahr verstärkt ihre Verantwortung im Norden des afrikanischen Kontinents wahr. Wollen Sie all das in Frage stellen?«
    »Nein«, stellte Sarah klar. »Wenngleich mein Vater die Methoden der kolonialen Bewegung nicht immer billigt, ist er stets ein treuer Untertan der Krone und ein vehementer Verfechter moderner Ideen gewesen. Aber er verwehrt sich dagegen, die Geschichte als Rechtfertigung zu missbrauchen.«
    »Was soll das heißen?«
    »Das soll heißen, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte ständiger Veränderung ist«, erläuterte Sarah. »Im Augenblick mag unsere Kultur in der Welt führend sein, aber dieser Zustand muss nicht von Dauer sein – und am Ende sind wir es vielleicht, die von anderen kolonisiert und beherrscht werden.«
    »Das ist unerhört!«, ereiferte sich nun auch einer der französischen Professoren. »Ein Affront! Ein Affront!«
    »Nein«, widersprach Sarah gelassen, »nur die konsequente Anwendung dessen, womit wir uns täglich beschäftigen. Aus der Geschichte zu lernen sollte das oberste Ziel unserer Wissenschaft sein – oder sehen Sie das anders, meine Herren?«
    Im Auditorium war Unruhe ausgebrochen. Während einzelne Studenten sich über den lautstark geführten Disput köstlich zu amüsieren schienen, ergriffen andere für ihre Lehrer und Doktorväter Partei. Immer wieder ab es Zwischenrufe, sodass Justin Guillaume, der vom Dekanat eingesetzte Sprecher des Symposions, sich schließlich genötigt sah, die Anwesenden zur Ordnung zu rufen.
    »Alles, was recht ist, Lady Kincaid«, rief Hingis in das Rund der Zuschauer, die sich nur ganz allmählich wieder beruhigten. Seine Stimme triefte dabei vor Sarkasmus. »Eines muss man Ihrem Vater lassen – er hat in der Tat viel gewagt, als er Sie zu seiner Vertretung geschickt hat.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Sarah.
    »Nun, bei alldem musste er doch wissen, dass man ihn heftig angreifen und für seine Theorien zur Rede stellen würde. Wie überaus mutig von ihm, seine Tochter zu entsenden, die noch nicht einmal einen akademischen Grad besitzt.«
    Erneut wurde Beifall laut. Das Lächeln verschwand aus Sarahs Zügen, der Blick ihrer blauen Augen wurde streng und eisig. Für eine Hypothese kritisiert zu werden gehörte zur akademischen Kultur und machte ihr nichts aus. Hingis allerdings war dabei, den wissenschaftlichen Disput zum persönlichen Schlagabtausch zu machen. Und obwohl eine Stimme in ihrem Hinterkopf sie davor warnte, ließ Sarah sich auf diesen Schlagabtausch ein …
    »Es ist wohl wahr, dass ich keinen akademischen Grad besitze«, erwiderte sie offen und mit einer Stimme, die nicht mehr vor Aufregung bebte, sondern vor
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