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Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)

Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)

Titel: Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)
Autoren: Karen McQuestion
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1
    Als ich einige meiner Nachbarn in einer kleinen Gruppe vor Mrs. Chos Haus stehen sah, war ich sicher, dass sie über mich sprachen.
    Es war ein sonniger Frühlingsabend und ich war auf dem Weg, mich mit meiner Freundin Piper in einer Kneipe zu treffen. Nach der Arbeit hatte ich meine Bürokleidung gegen ein Trägerhemd mit Spitze und einen kurzen Rock eingetauscht und war in ein Paar neue Sandaletten geschlüpft. Ein kurzer Blick in den Spiegel, um das Make-up aufzufrischen, und ich war fertig.
    Trotz meiner Bemühungen war ich sicher, dass Piper wieder einmal besser aussehen würde als ich, egal, was sie trug. Und dass, obwohl sie Mann und Kind hatte, während ich zurzeit, im Grunde jederzeit, ungebunden war. Das war natürlich nicht ihre Schuld, aber dennoch unerfreulich.
    Ich hatte überlegt, einen strammen Spaziergang zu machen, um ein paar Kalorien zu verbrennen und hoffentlich auch ein paar bewundernde Blicke einzuheimsen, was meinem armen Ego sicher gut getan hätte. Aber Frühling in Wisconsin bedeutete nicht unbedingt warmes Wetter; dreißig Sekunden nach Verlassen des Hauses merkte ich deutlich, dass es ein
bisschen zu kalt war, um ohne Jacke zu gehen, und der Wind verwüstete mein Haar zu einer Sturmfrisur. Noch schlimmer war jedoch die Gewissheit, dass die vier Nachbarn mich gleich aufhalten würden.
    Unausweichlich näherte ich mich der kleinen Gruppe und Crazy Myra, die sich vorgebeugt hatte, um Brother Jasper etwas zuzuflüstern, richtete sich abrupt auf, als hätte man sie beim Herumstöbern in jemandes Medizinschränkchen erwischt. Die beiden anderen – Belinda, die Hundefrau, und Mrs. Cho – zeigten plötzlich ein auffälliges Interesse für den Fliederbusch neben sich.
    Mein Plan bestand darin, ihnen lächelnd zuzunicken und dann einen Bogen um sie zu machen, doch Mrs. Cho stoppte mich, indem sie den Stoff meines Oberteils zwischen ihre knochigen Finger nahm. »Hübsch«, sagte sie. Für eine so kleine Frau hatte sie einen erstaunlich festen Griff.
    »Ja, sehr hübsch«, bestätigte Brother Jasper und fügte hinzu: »Lola, Sie sehen aus wie der Frühling.«
    Bevor ich mich bedanken und weitergehen konnte, meldete sich Crazy Myra zu Wort. »Wo soll’s denn hingehen, junge Dame – so fein herausgeputzt?«
    »Ich treffe mich mit einer Freundin zum Abendessen.« Das mit dem Essen war gelogen. Wir wollten eigentlich nur etwas trinken, aber das wollte ich nicht sagen, weil es so liederlich klang. Ich wünschte jetzt, ich hätte Pipers Angebot angenommen, mich abzuholen. »Sei nicht albern«, hatte ich ihr erwidert. »Es sind doch nur drei Straßenecken. Wir treffen uns dort.« Nun aber trat ich unsicher von einem Fuß auf den anderen und blickte sehnsüchtig die Straße hinunter in der Hoffnung, Piper in ihrem silbernen Minivan zu
sehen, sodass ich eine Entschuldigung gehabt hätte, mich loszueisen.
    In der Redaktion war ich für mein Durchsetzungsvermögen bekannt, privat jedoch war ich schon immer etwas unsicher, und diese Nachbarn machten mich ziemlich nervös. Sie waren ein bisschen zu eifrig und ein bisschen zu perfekt und kamen andauernd vorbei, um mir Kekse zu bringen oder mich zur nächsten Nachbarschaftsversammlung einzuladen, die ich nie besuchte. Wenn sie ein Bonbonpapier in meinem Vorgarten entdeckten, blieben sie stehen, um es aufzuheben. Wenn ich mich mit schweren Einkaufstaschen abmühte, eilten sie umgehend zu Hilfe. Ich lebte nun schon vier Monate in diesem Haus und hatte mich noch immer nicht daran gewöhnt. In dem Vorort, in dem ich aufgewachsen war, nahmen wir Post für die Nachbarn entgegen und winkten ihnen im Vorbeifahren freundlich zu, aber wir klopften nicht an ihre Türen oder baten sie um einen Gefallen. Nicht, dass die Bewohner von Vororten reserviert wären – das will ich damit nicht sagen. Sie können nur einfach Grenzen respektieren.
    »Sie treffen eine Freundin zum Abendessen«, wiederholte Brother Jasper. »Wie nett.« Von der ganzen Bande war er mir noch der liebste, nicht zu aufdringlich, stets höflich und zuvorkommend und immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen, bei dem seine perfekten Zähne in blendendem Weiß gegen die mahagonifarbene Haut erstrahlten. Trotzdem ging ich ihm lieber aus dem Weg aus Angst, er könnte mich zu einem Besuch in seiner Klappstuhlkirche mit anschließendem Styroporbecherkaffee einladen. »Wir sprachen gerade von unserem alljährlichen Nachbarschaftsfest«, sagte er. »Hat
Ihre Tante das mal erwähnt? Wir sammeln da immer
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