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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos
Autoren: Michael Peinkofer
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sagte sie noch einmal. Er hörte, wie ihre empört trippelnden Schritte sich entfernten und wie die Zimmertür hinter ihr ins Schloss fiel. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er sie noch nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte.
    Du Gard seufzte und strich sich durch sein langes, an der Stirn bereits lichtes Haar. Wie viele solcher Nächte hatte er in letzter Zeit verbracht, in denen er Zerstreuung gesucht hatte …
    Vergeblich.
    Zu viel hatte er gesehen, das ihn beunruhigte und das sich weder mit Absinth noch mit den Reizen einer Hure vergessen ließ. Die Bilder, die er im Zuge seiner Visionen gesehen hatte, zunächst auf der fernen Insel Fifla und später in der Grabkammer Alexanders des Großen, hatten ihm tiefe Einsichten gewährt.
    Einsichten, um die er nie gebeten hatte und die ihm dennoch zuteil geworden waren, Einsichten in eine Zukunft, die zugleich großartig und beunruhigend war und in der Sarah Kincaid eine zentrale Rolle spielte. Du Gard hatte bestürzende Zusammenhänge erfahren, wusste nun um Sarahs Bestimmung – und ihm war klar, dass dieses Wissen gefährlich war. Zu gerne wäre er es wieder losgeworden, hätte es zurückgegeben wie einen Hut, den man beim Händler erstanden hatte und beim Tragen unbequem fand. Aber der Weg der Erkenntnis, das hatte seine Mutter ihn gelehrt, führte nur in eine Richtung.
    Seine Mutter …
    Ein wehmütiges Lächeln glitt über du Gards Gesicht, während er aufstand, zum Spiegelschrank trat und nach der Flasche mit dem grün schimmernden Inhalt griff. Er nahm sich nicht die Zeit, den Absinth in ein Glas auszuschenken, sondern trank aus der Flasche, in der Hoffnung, die grüne Fee würde ihm ein wenig Trost spenden. Was er im Spiegel sah, widerte ihn an: einen jungen Mann, der wie ein Greis aussah und seine Furcht im Alkohol zu ertränken suchte.
    Auch du Gards Mutter hatte Visionen gehabt.
    In ihrem Bemühen, die Menschen vor Fehlentscheidungen zu bewahren, hatte sie ihr Wissen nicht verschwiegen, sondern war damit an die Öffentlichkeit getreten – mit dem Erfolg, dass sie verhaftet und dem Richter als Aufrührerin vorgeführt worden war. Den Rest ihrer Tage hatte sie in einer geschlossenen Anstalt in New Orléans verbracht, wo sie zunehmend unfähig gewesen war, Wirklichkeit und Vision voneinander zu unterscheiden. In geistiger Umnachtung war sie zugrunde gegangen, ein Schicksal, wie du Gard es sich schwerlich schrecklicher ausmalen konnte und das er keinesfalls teilen wollte.
    Aus diesem Grund würde er für sich behalten, was er gesehen und erfahren hatte – aber er würde auch nach Antworten suchen.
    Man hatte ihn gelehrt, an ein großes Ganzes zu glauben, an ein übergeordnetes Schicksal, das aus Sternen und Visionen und aus den Karten des Tarot sprach. Diesem Schicksal wollte du Gard nachspüren, jedoch war Paris nicht der rechte Ort dafür. Zum einen war er überzeugt, dass man früher oder später nach ihm suchen würde, und er verspürte kein Verlangen danach, wie Pierre Recassin zu enden. Zum anderen wollte er in Sarah Kincaids Nähe sein, denn ihm war nur zu bewusst, dass sie einander nicht zum letzten Mal begegnet waren.
    Du Gard lachte leise, während er sich einen weiteren Schluck Absinth gönnte. Was er Sarah erzählt hatte, war erstunken und erlogen gewesen. Weder hatte er sie in jener Nacht in Orléans mit unlauteren Mitteln betört, noch hatte er sie als flüchtiges Abenteuer betrachtet. Beides hatte er nur gesagt, um sie entgegen seiner wahren Gefühle dazu zu bringen, sich von ihm zu trennen und sich ins entlegene Yorkshire zurückzuziehen, wo sie – so hoffte er – einstweilen sicher sein würde.
    Gesehen hatte er sie nach ihrem Gespräch an Bord der ›Astarte‹ nicht mehr. Während eines nächtlichen Aufenthalts vor Malta, wo Capitaine Hulot und seine Leute Frischwasser und Proviant an Bord genommen hatten, war Sarah heimlich von Bord gegangen. Wie du Gard später erfahren hatte, war sie mit einem Handelsschiff nach England zurückgekehrt – und dorthin würde auch er sich bald begeben.
    In seinen Visionen hatte du Gard gesehen, dass sich dunkle Schatten über der britischen Hauptstadt zusammenzogen. Etwas, dessen Auswirkungen nicht nur das Empire, sondern die ganze Welt betreffen konnten, würde sich ereignen, und Maurice du Gard wollte dabei sein, wenn es geschah.
    »London«, flüsterte er.
    Dort lag die Zukunft.
    ENDE

DANKSAGUNG
    Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich mir an dieser Stelle gewünscht, dass Sarah Kincaids großes
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