Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
quälenden Augenblick lang waren da nur die Schwärze, das infernalische Rauschen und die Verzweiflung …
    Plötzlich schlug Sarah gegen ein Hindernis.
    Es war eine massive Wand, die den Treppenschacht versiegelte und an der das Wasser sofort emporstieg. Damit war ihr Ende besiegelt. Innerhalb von Sekunden würde sich der Stollen bis hinauf zur Decke gefüllt haben und dann …
    Sarah hörte die verzweifelten Schreie ihrer Gefährten. Mit den Beinen strampelnd, suchten sie sich über Wasser zu halten und dem Leben letzte Augenblicke abzuringen. Jäh wurde Sarah bewusst, dass sie abermals versagt hatte. Weder war es ihr gelungen, ihren Vater zu retten, noch ihre Gefährten zurück nach Hause zu bringen. Tiefe Resignation erfüllte sie, und sie bereitete sich darauf vor, ihrem Schöpfer gegenüberzutreten – als etwas Unerwartetes geschah.
    Die Wand, gegen die der immer größer werdende Wasserdruck sie presste, gab plötzlich nach, und von der anderen Seite drang gleißend helles Licht in den Stollen.
    Ehe Sarah oder einer ihrer Begleiter auch nur begriff, was vor sich ging, wurden sie von der Flut nach draußen gespült, in einen kurzen, waagrecht verlaufenden Stollen und von dort in einen Schacht, der mit Bretterwänden abgestützt war und senkrecht nach oben führte, ein Schacht, über dem sich ein rötlich gefärbter Abendhimmel wölbte.
    Weder Sarah noch ihre Gefährten kamen dazu, sich zu fragen, wo sie waren. Sie hatten damit zu tun, sich rudernd und strampelnd über Wasser zu halten, das sie einmal mehr emportrug, aus dem Schacht in eine weite Grube. Von der schäumenden Fontäne ausgespuckt, überschlug sich Sarah mehrmals, ehe sie bäuchlings im Schlamm liegen blieb. Mit ermattenden Kräften rappelte sie sich auf die Beine und schaute sich um. Inmitten der Grube, unweit der Öffnung, aus der unaufhörlich Wasser sprudelte, ragte eine Statue auf. Rings verstreut lagen Sarahs Gefährten, erschöpft und voller Blessuren, aber noch am Leben.
    »Auf die Beine, los«, trieb Sarah sie an und deutete zu den Leitern, die aus der Grube führten. »Dort hinauf, rasch …«
    Später wusste sie nicht mehr, wie sie zur Leiter gelangt war und sich daran emporgehangelt hatte, aber sie erinnerte sich noch genau an den Moment, in dem sie über den Rand der Grube blickte. Denn in diesem Augenblick ging ihr auf, wo sie sich befanden.
    Im Licht der Abendsonne erhob sich ein einsames Monument, das sich wie eine Nadel in den orangeroten Himmel zu bohren schien.
    Die Säule des Pompeius!
    Hier also waren sie gelandet, just an der Stelle, an der ihr dramatisches Abenteuer seinen Ausgang genommen hatte.
    Ohne es zu wissen oder auch nur zu ahnen, hatten sie die gesamte Stadt unterquert, was letztlich belegte, dass Gardiner Kincaid an der richtigen Stelle gegraben hatte und dass Sarahs zu Beginn geäußerte Vermutung, der Kreis könnte sich hier schließen, gleich in mehrfacher Hinsicht zutreffend gewesen war. Nicht nur, dass ihre Reise genau dort endete, wo sie begonnen hatte, sie lieferte auch den Beweis dafür, dass die Bibliothek von Alexandria und der Tempel der Serapis, dessen Überrest die einsame Säule repräsentierte, tatsächlich einst verbunden gewesen waren – durch einen geheimen Gang, der weit draußen auf der Insel Pharos seinen Anfang nahm …
    Schwerfällig erklomm Sarah den Rand der Grube und taumelte hinaus, dankbar dafür, noch am Leben zu sein, trotz allem, was sie erlitten hatte. In der Erwartung, frische, unverbrauchte Luft in ihre Lungen zu saugen, atmete sie tief ein. Aber die Luft war nicht frisch, sondern roch bitter.
    Nach Rauch und Brand.
    Und nach Tod.
    Sarah wandte sich um, und was sie sah, erschreckte sie, denn das Häusermeer Alexandrias, das sich im Nordwesten abzeichnete, bot ein Bild des Grauens.
    Allerorten loderten Feuersbrünste, schwarzer Rauch quoll zum Himmel und verfinsterte ihn. Das Ausmaß der Zerstörung war selbst auf die Distanz zu erkennen: zerschmetterte Mauern, zerstörte Türme, eingestürzte Kuppeln.
    Du Gard, Hingis und Laydon traten neben sie, gleichermaßen froh, überlebt zu haben, aber nicht weniger erschüttert von dem Anblick. Einen ganzen Tag lang hatte das Bombardement gedauert, nun war es zu Ende und hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen.
    Während sich Sarah ernüchtert umblickte, wurde ihr auch klar, woher all das Wasser gekommen war, das die Bibliothek überflutet hatte: aus dem Kanal Mahmûdije, der unweit verlief und an dessen Uferbänken mehrere
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher