Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
reagierte mit aller Härte.
    »Sarah Kincaid«, verkündete Guillaume den soeben gefassten Beschluss (und Sarah hatte das Gefühl, in seiner Stimme einen Hauch von Genugtuung zu vernehmen), »Sie haben zugegeben, ein ehrbares Mitglied dieses Forschungskreises vorsätzlich getäuscht und hintergangen zu haben. Dass es sich dabei um Ihren eigenen Vater handelt, schmälert die Tat in keiner Weise, sondern lässt sie nur noch ruchloser erscheinen. Wegen Anmaßung und vorsätzlichen Betrugs werden Sie deshalb mit augenblicklicher Wirkung dieser Räumlichkeiten verwiesen und gelten fortan auf dem gesamten Campus als unerwünschte Person. Sollten Sie diesem Beschluss zuwiderhandeln, behalten wir uns weitere Schritte vor, ansonsten werden wir mit Rücksicht sowohl auf ihr Geschlecht als auch auf Ihren Stand auf eine Anzeige bei der Polizei verzichten.«
    »Danke, sehr freundlich«, sagte Sarah, ohne mit der Wimper zu zucken, aber es war ihr anzusehen, dass es ihr mit ihrer Verbundenheit nicht sehr ernst war.
    »Die Gelehrten und ich können nur unsere tiefe Abscheu über Ihr Handeln zum Ausdruck bringen – es angemessen zu bestrafen sowie erzieherische Maßnahmen zu ergreifen, die eine Wiederholung in der Zukunft ausschließen, ist alleine Sache Ihres Vaters, den wir über diesen Vorfall en detail in Kenntnis setzen werden.«
    »Tun Sie das«, erwiderte Sarah ruhig, »ich bin sicher, er wird es mit Interesse vernehmen.«
    Mit wenigen Handgriffen packte sie ihre Unterlagen zusammen und klemmte sie sich unter den Arm. Dann verließ sie erhobenen Hauptes das Rednerpult, verfolgt von anklagenden Blicken, die erst von ihr abließen, als die schweren, goldbeschlagenen Türen des Hörsaals hinter ihr ins Schloss fielen.
    Erst jetzt gab Sarah ihren Gefühlen nach.
    In ihren Augenwinkeln blitzte es feucht. Sie ballte die Fäuste und bebte am ganzen Körper vor hilfloser Wut. Sarah war von sich selbst enttäuscht, von ihrer himmelschreienden Naivität, mit der sie Hingis auf den Leim gegangen war. Und nicht zuletzt ertappte Sarah sich dabei, dass ein kleiner Teil ihres Zorns auch jenem Mann galt, der sie in diese Situation gebracht hatte.
    Ihrem Vater …
    Eine knappe Regierungsdepesche mit der Aufforderung, nach Paris zu kommen und ihn zu vertreten – das war alles, was sie in zweieinhalb Monaten von Gardiner Kincaid gehört oder gesehen hatte. Nicht nur, dass er seine Arbeit vor ihr verheimlichte, was er noch nie zuvor getan hatte, er ließ sie auch noch ins offene Messer rennen, was das Gremium und seine Statuten betraf. Für einen Augenblick gab Sarah ihrer Frustration nach, fühlte sich einsam und im Stich gelassen – aber schon im nächsten Moment rief sie sich wieder zur Vernunft.
    Sie kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass es für all dies Gründe geben musste – Gründe, die so gewichtig waren, dass sie sowohl die Geheimhaltung rechtfertigten als auch das unentschuldigte Fehlen auf einem Symposion. Der alte Gardiner hatte sicher nicht gewollt, dass Sarah seinetwegen in Schwierigkeiten geriet, also schuldete sie ihm Loyalität, was immer andere auch sagen mochten.
    Sarah atmete tief durch und straffte ihre zierliche Gestalt. Vom Wunsch beseelt, den Ort der Niederlage rasch zu verlassen, passierte sie den hohen Gang mit der stuckverzierten Decke und erreichte den Haupttrakt des weitläufigen Universitätsgebäudes zwischen Boulevard Saint Michel und Rue Saint Jacques, das in seinen Grundzügen auf Richelieu zurückging und zu Beginn des Jahrhunderts beträchtlich erweitert worden war. Sarah durchquerte die von Säulen getragene Aula und hielt zielstrebig auf die hohe Pforte des Ausgangs zu – als sich aus dem Schatten einer der Säulen unvermittelt eine Gestalt löste.
    »Lady Kincaid?«
    Sarah, die in Gedanken versunken gewesen war, erschrak heftig, wofür es allerdings keinen Grund zu geben schien. Der Mann, der sie angesprochen hatte, war korrekt gekleidet und von fortgeschrittenem Alter. Sein schwarzer Gehrock war makellos und bot einen augenfälligen Kontrast zu seinem schlohweißen Haar und Vollbart, die ein blasses, milde blickendes Gesicht umrahmten. In seinen Händen hielt er Stock und Zylinder, der Ausdruck seiner Augen hatte etwas Jungenhaftes – und obwohl sie sich nicht erinnern konnte, ihm je zuvor begegnet zu sein, hatte Sarah den Eindruck, dass sie den Mann kennen musste …
    »Ja?«, fragte sie überrascht.
    »Ein Freund bat mich, Ihnen das hier zu geben«, erwiderte der fremde Gentleman, der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher