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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba
Autoren: Franziska Wulf
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wurde und die Feuer in Córdoba wieder brannten, hat er Verfolgte bei sich aufgenommen. Etliche Jahre später, als er sicher sein konnte, dass sich andere Männer und Frauen um ›sein Dorf und seine Familie‹, wie er es nannte, kümmern würden, hat er das Drachenöl getrunken und ist einen friedlichen Tod gestorben . Die Leute hier«, Cosimo deutete auf die Häuser rings um die kleine Kirche, »lieben und verehren ihn noch heute wie einen Heiligen, obgleich sein Name dem Papst wohl noch nie zu Ohren gekommen sein dürfte. Und sie sagen , dass Pater Stefano sie vor der Willkür der Obrigkeit, vor Ungerechtigkeit und Armut beschützt, solange sie ihn um Hilfe bitten und jede Woche frische Blumen auf sein Grab legen.« Er lächelte. »Natürlich ist das nur eine Legende. Aber ich fand, dass Sie es wissen sollten.«
    Nachdenklich blickte Anne auf den grauen Stein, der im Laufe von vielen hundert Jahren durch unzählige Hände glatt poliert worden war. Wieder fiel es ihr schwer, sich vorzustellen , dass dies das Grab ihres Sohnes war. Und dass ihr Sohn so etwas wie ein Heiliger gewesen sein sollte. Andererseits erfüllte es sie mit Freude. Der Gedanke, dass die Menschen ihn geliebt hatten und ihn bis auf den heutigen Tag in Erinnerung behielten, gefiel ihr. Es war wie eine Entschädigung dafür , dass sie selbst, seine leibliche Mutter, so wenig Erinnerungen an ihn hatte.
    »Und wessen Grab ist das?«, fragte Anne und deutete zu Anselmo, der vor einem schlichten weißen Stein kniete, auf dem eine einzelne rote Rose lag.
    »Teresas Grab«, antwortete Cosimo. »Sie und Anselmo haben fünfundzwanzig Jahre lang eine wunderbare, glückliche und fruchtbare Ehe geführt. Viele der Gräber hier gehören zu Anselmos Familie. Selbst heute leben in diesem Dorf noch einige seiner Nachkommen.«
    »Und dann?«
    Cosimo zuckte bedauernd mit den Schultern. »Teresa wurde krank. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, es war eine Blinddarmentzündung. Aber glücklicherweise musste sie nicht lange leiden.«
    »Ich habe sie immer gebeten, das Elixier der Ewigkeit zu trinken«, sagte Anselmo leise. »Ich habe sie förmlich ange-fleht, es zu tun. Aber sie hat es abgelehnt. Sie sagte: ›Wer will schon ewig leben, Anselmo? Ich will nicht zusehen müssen, wie meine Kinder und Enkel sterben. Wir können nicht alle von dem Elixier trinken. Das wäre gegen Gottes Willen …‹ Später, viel später habe ich sie verstanden.« Er küsste seine Finger und berührte mit ihnen den Stein. »Bis bald, meine Schöne.« Dann erhob er sich und setzte die Sonnenbrille auf. Doch Anne war sicher, dass sie in seinen braunen Augen Tränen gesehen hatte. »Wir sollten fahren, Cosimo«, sagte er und warf einen Blick auf seine Uhr.
    »Ja, das sollten wir«, erwiderte Cosimo nachdenklich und ließ seinen Blick über das Dorf schweifen, als würde er das alles zum letzten Mal sehen. »Kommt.«
    Sie stiegen in den Wagen. Niemand sprach ein Wort. Anne spielte mit dem Siegelring, während die Landschaft an ihr vorbeizog. Und als sie schließlich aus ihrem traumartigen Zustand erwachte, waren sie bereits am Flughafen angekommen , und Anselmo hatte ihr Gepäck aus dem Kofferraum genommen.
    »Wartet in der Halle auf mich«, sagte er und stieg wieder ins Auto. »Ich fahre den Wagen noch zur Mietwagenfirma zurück.«
    Anne nahm ihren Koffer in die Hand. Dann sah sie, dass Cosimo lediglich einen kleinen Metallkoffer bei sich hatte, ähnlich denen, die Fotografen für ihre Ausrüstung brauchten.
    »Ist das etwa Ihr ganzes Gepäck?«, fragte sie erstaunt.
    »Machen Sie sich keine Gedanken, Anne«, antwortete Cosimo und streichelte mit einem eigentümlichen Lächeln über den Koffer. »Da drin befindet sich alles, was Anselmo und ich brauchen. Wenn Anselmo wieder da ist, werden wir … Ah, da ist er ja schon.«
    Anne kam es vor wie eine Filmszene, die in Slowmotion-Technik gedreht worden war. Anselmo bahnte sich seinen Weg durch Reisegruppen. Er ging vorbei an Familien und Pärchen, an Koffern und Handkarren. Die Leute drehten sich nach ihm um, sie sahen ihm nach. Frauen nahmen ihre Sonnenbrillen ab, um ihn besser sehen zu können, strichen ihr Haar glatt, lächelten ihm zu. Doch ihn schien das alles nicht zu interessieren. Vielleicht bemerkte er es noch nicht einmal. Als ob er sich in einer anderen Sphäre bewegen würde als sie.
    »Hast du die Unterlagen, Anselmo?«, fragte Cosimo.
    »Natürlich«, erwiderte er und zog ein schmales Etui aus der Innentasche seiner Jacke.
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