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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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Menschen... Es hätte auch etwas anderes sein
können—ein Tier, ein ungewöhnlich großer Hund vielleicht — oder aber doch eine
tiefgeduckte Menschengestalt? Er hatte es, in dem kurzen Augenblick, kaum zu
Gesicht bekommen, mehr die Bewegung gespürt — aber es war etwas vor ihm
aufgesprungen, wie ein schwerer, lautloser Schatten, dem zu folgen unmöglich
war; denn erstens war sich Henrici völlig im unklaren über die Richtung, in der
dieses Etwas entwichen war, falls es überhaupt eine Substanz hatte — und
zweitens wälzte sich in diesem Moment, vom ›Höfchen‹ her, die ganze Straße und
die Ausdehnung des kleinen Platzes füllend, unter dem dröhnenden Einsatz von
Kesselpauke, Schellebaum und Schlagdeckel, von den Lichtern bunter Lampions und
rötlichem Fackelschein überzuckt, schreiend, lachend, johlend und die als
›Handgeld‹ empfangenen Weinflaschen schwenkend, der frisch vereidigte
Rekrutentrupp der ›Ranzengarde‹, mit närrischen Kappen auf dem Kopf, in der
Richtung aufs Fischtor zu — und eine riesige Menschenmenge hinterher.
Dienstmädchen und Kinder quollen aus allen Haustüren, im Nu waren auch die
Nebengassen von Leuten überschwemmt, und aus unzähligen Mündern drang — zu dem
raßligen Schmettern der Blechmusik — mit schrillen, kreischenden oder schon
suff- und schreiheiseren Stimmen — der karnevalistische Marschgesang:
     
    -
Rizzambaa, Rizzambaa,
    Morje
fängt die Fassenacht aa —
     
    wie ein päanisches Jubelgeheul zum
Rheinstrom hin verhallend.
    Der Domkapitular Henrici hörte es kaum.
Ihm war etwas eingefallen, das — leise zuerst, dann mit immer lauterer Stimme —
in ihm sprach. Er hatte nicht daran gedacht — da es zu selbstverständlich, zu
gewohnt, zu unauffällig war, um sich in die Erinnerung einzukerben. Jetzt aber
wußte er es ganz genau, und es nahm in seinem Innern eine unbegreifliche
Bedeutung an — so als sei damit alles Unbekannte und Dunkle schon auf geheimnisvolle
Weise geklärt... Der fremde junge Mann hatte nämlich im Beichtstuhl, bevor er
zusammenbrach, noch zu ihm gesprochen. Es waren jedoch nur die ersten vier
Worte der Beichtformel gewesen, wie sie jeder zur Einleitung seines
Bekenntnisses dem an Gottes Statt lauschenden Priester zuflüstert:
    »Ich armer, sündiger Mensch —«
    Dann war er verstummt.
     
     
    Z wischen Walluf und Eltville, von Mainz
aus am besten mit dem zum rechten Rheinufer hinüberfahrenden Dampfschiff zu erreichen,
lag, in der Nähe des Dörfchens Nieder-Keddrich, am Fuße des Taunus, das große
Weingut Keddrichsbach, mit seinen weltberühmten Wingerten ›Keddricher Ölberg‹
und ›Keddrichsbacher Blutströpfchen‹. Es stand seit Generationen im Besitz der
Familie Panezza, der außerdem ein bedeutendes Sägewerk und eine Ziegelfabrik am
Rheinufer, sowie, von der jetzigen Frau Panezza in die Ehe eingebracht, eine
Weinkellerei in dem damals noch österreichischen Meran gehörten. Das
Herrschaftshaus, zwischen den Weinbergen in einem Park mit reichem Baumbestand
gelegen, war um die Jahrhundertwende neu ausgebaut worden, und zwar in jenem
schloßartigen Prunkstil, mit Erkerchen, Türmchen und vielfach verzierter
Fassade, der seinen Schöpfern zuerst so stolz und heiter vorkam und dem schon
nach kurzer Zeit etwas Muffig-Morbides und Gottverlassenes anhaftete.
    Dort schellte es, am gleichen
Fastnachtsamstag gegen Abend, recht heftig an der Haustür, die — portalartig
aufgemacht — mit einem großen, schmiedeeisernen Klingelzug versehen war.
    ›Wer soll denn jetzt schellen‹, dachte
das Dienstmädchen Bertel, das im obersten Stockwerk des Hauses, wo die
Wäschekammern und Flickstuben lagen, der alten Nähmamsell beim Herrichten von
Ballkostümen half. Sie knöpfte sich ihre hübsche, hellblau mit weiß karierte
Trägerschürze über den Schultern zu und warf rasch einen Blick in den Spiegel,
in dem ihr frisches, dunkeläugiges und dunkel umlocktes Gesicht erschien, fuhr
sich auch mit der Zunge über die Lippen und mit dem feuchten Finger über die
Augenbrauen — denn es war immer möglich, im Flur dem jungen Herrn zu begegnen,
wenn er, wie jetzt, auf Urlaub zu Hause war. Dann sprang sie in einem hüpfenden
Galopp, der ihr bei jeder Stufe die Brüste im Hemd wippen ließ, die breite
Haustreppe hinunter. Bevor sie jedoch den letzten Halbstock erreichte — es
hatte inzwischen nochmals und noch etwas heftiger geschellt — , hörte sie, daß
die Haustür bereits geöffnet wurde. Der junge Herr, der sich mit seiner
Schwester
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