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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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einer
Art von Lebensaufgabe gemacht hat, die er sich auch eine ganze Menge Geld
kosten läßt... Er wurde vor fünfundzwanzig Jahren schon einmal zum Prinz
Karneval gewählt, damals waren wir allerdings noch nicht dabei, und soll eine
so glanzvolle Figur gemacht haben, daß man in den bewußten närrischen Zirkeln
noch heute davon spricht... Nun, und so haben sie ihn als würdigen Fünfziger
noch einmal dazu überredet, so furchtbar schwer dürfte es nicht gewesen sein,
der Stadt und der Welt, urbi et orbi, zur allgemeinen Belustigung des Volkes
dieses gewaltige Schauspiel zu bieten...«
    Seine verzwickte Redeweise und
Bettinens Kopfschütteln ließen keinen Zweifel daran, daß die Geschwister sich
für ihren Vater und seine karnevalistische Passion ein wenig genierten. Für sie
war die Fastnacht, der sie in ihrer Kinderzeit gewiß manches Vergnügen
abgewonnen hatten, in ihrem derzeitigen Stadium der Sehnsucht nach verfeinerter
Geistigkeit ein recht gewöhnliches und pfahlbürgerliches Amüsement, ein
Massenspektakel und ein Ausbruch von ›Fröhlichkeit auf Befehl‹ — wie man ihn
vielleicht noch dem einfachen Volk konzedieren konnte dessen enthusiastische
Zelebrierung durch Leute von Stand, Rang und äußerer Lebenskultur sie aber als
geistlosen Unfug empfanden. Sie hätten lieber Theseus zum Vater gehabt als
Zettel den Weber — denn so kam er ihnen in seinem karnevalistischen
Vereinsgehabe vor während Panezza selbst, in seiner närrischen Majestät, sich
durchaus als Theseus und volksumjubelten, freudespendenden Landesfürsten fühlte.
Ob denn nun ihre Mutter, fragte Viola, auch als Prinzessin Karneval fungiere?
Die Geschwister lachten hell auf. Das fehlte noch! Nein, die Mutter pflegte
noch nicht einmal den großen, traditionellen Maskenball in der Stadthalle
mitzumachen, den kaum ein erwachsener Mensch in Mainz versäumte — sie pflegte
nur ihre Blumen und ihre Migräne... Jetzt allerdings war sie mit in die Stadt
gefahren, wo Panezza vom Altan des Stadttheaters aus die ›Vereidigung der
Rekruten‹ vornahm; aber sie sah sich das Spektakel nur vom Salonfenster der
Familie Bekker in der Ludwigstraße an — das seien die Bekkers mit zwei k,
worauf diese Familie besonders stolz sei, denn das schien ihr vornehmer zu
sein, als sich, wie andere Beckers, mit ck zu schreiben. Und die Tochter der Familie
Bekker — mit zwei k —, die blonde Katharina, eine jüngere Schulfreundin der
Bettine, war dies Jahr die gekürte und gekrönte Prinzessin Karneval, dreitägige
Präsentiergemahlin ihres Herrn Vaters... »Um Gottes willen«, rief Bettine in
das nun herzhaft und unbefangen sprudelnde Gespräch und Gelächter hinein, »ich
höre die Autos! Sie kommen schon — und wir sind nicht angezogen!«
    Adelbert Panezza, der Vater, hatte es
sich nicht nehmen lassen, als Vorfeier der kommenden Freudentage seine
jugendliche Mitregentin, das Fräulein Katharina oder ›Katzjen‹ Bekker, und
deren Familie sowie die Kommandeure der närrischen Bataillone und ein paar
andere karnevalistische Würdenträger zu einem kleinen Festessen einzuladen, und
er hatte sich, um sie rasch aufs Gut herauszubringen, einige Mietautos
gesichert, deren es damals in der Stadt erst wenige gab. Die ratterten nun,
unter ungeheurem Motorgefauche, die lehmige Landstraße hinauf.
    Wie gejagt stürzten die Geschwister,
Viola mit sich ziehend, treppauf zu ihren Zimmern, während das Dienstmädchen
Bertel, nun in weißer Plisseeschürze und Spitzenhäubchen, mit wippenden Brüsten
die Stufen hinunter sprang. Ein gemieteter Lohndiener, in der Livree der
Prinzengarde, hatte schon das Portal geöffnet, dessen elektrische Beleuchtung,
sonst von gläsernen Weinblättern umrankt, heute mit den Mainzer ›Narrenfarben‹,
rot-weiß-blau-gelb, drapiert war.
    Von draußen, wo die Autos unter
explosionsartigem Getöse den Versuch machten, einander bei der Anfahrt nicht zu
zertrümmern, erklang jenes etwas krampfhaft angeregte Durcheinander von Reden
und Lachen, das einer solchen Abendgesellschaft, bevor sie sich auf den
normalen Unterhaltungston abstimmen kann, vorausgeht. Bertel und der Lohndiener
hatten alle Hände voll zu tun, um die Mäntel, die Hüte, die Überschuhe zu
versorgen.
    Von einem oberen Treppenabsatz übers
Geländer gebeugt, sah Viola am Arm von Bettine, wie — höflich seine Gäste vor
sich her dirigierend — Herr Adelbert Panezza eintrat, im prächtigen Gewand des
Prinzen Karneval, mit Gold und Silber, Hermelin und Purpur,
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