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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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steifen, samtschwarzen Kragen ging gradewegs auf
den nächsten der holzgeschnitzten Beichtstühle zu — es war der des
Domkapitulars Dr. Henrici vor dem in diesem Augenblick niemand wartete, und der
überhaupt schwachen Zulauf hatte; denn der gelehrte Herr stand nicht nur im Ruf
besonderer Strenge und eines ungewöhnlich scharfen Gedächtnisses, sondern auch
einer zunehmenden Schwerhörigkeit. Der Dragoner schien es eilig zu haben — er
stach mit sehr raschen und merkwürdig kurzen, steifen, fast hüpfenden
Schrittchen, wie ein Pferd im abgekürzten Trab, schnurstracks und ohne vorher
das Knie zu beugen auf den Eingang des Beichtstuhls zu. Dem Dr. Henrici, der
eben den dunklen Vorhang seines hölzernen Gelasses ein wenig gelüpft hatte (in
der geheimen Hoffnung, gar keinen Beichtwilligen mehr vorzufinden und etwas
rascher zu seiner unterbrochenen Lektüre in der bischöflichen Bibliothek
zurückkehren zu können), fiel der kurze,. stelzige Schritt des späten
Ankömmlings auf. Vielleicht hat er sich wundgeritten, ging es ihm durch den
Kopf, da er das leise Klirren der Anschnallsporen auf den Sandsteinfliesen
vernahm. Dann ließ er den Zipfel des Vorhangs fallen und wandte sein Gesicht
dem Eingetretenen entgegen.
    Gleich darauf aber zwängte sich die
priesterliche Gestalt mit ungewöhnlicher Hast aus der schmalen Öffnung des
Beichtstuhls heraus, und der Domkapitular eilte, so rasch es ihm das Alter und
die Würde seines Gewandes erlaubten, durch das große Mittelschiff und über die
Stufen der Apsis zum Chor hinauf, wo einer der beiden wachhabenden
Domschweizer, auf seine Hellebarde gestützt, verschlafen herumstand. Auch der
zweite Domschweizer, der in der Gegend des Haupteingangs patrouillierte, kam
neugierig herbei, da er die erregten Gesten sah, mit denen der geistliche Herr
auf seinen Wachkameraden einflüsterte.
    Rasch folgten beide Schweizer, nachdem
sie ihre Hellebarden an eine Steinsäule gelehnt hatten, dem Beichtvater zu seinem
verlassenen Gehäuse, aus dessen seitlichem Eintritt, von der niedrigen Kniebank
herunter, gleichsam umgeklappt, wie Teile einer zerlegten Gliederpuppe und als
gehörten sie gar nicht zu einem Körper, ein paar Beine in den Röhren der
militärischen Ausgehhosen und die blank gewichsten Stiefel mit den Radsporen
heraushingen. Der Oberkörper des Mannes schien in sich zusammengesunken, die
Hände waren noch vor seinem Leib gefaltet, das Kinn auf die hölzerne Kante
unterhalb des Beichtgitters aufgeschlagen.
    Vorsichtig hoben die beiden Männer den
reglosen Körper aus dem fast sargartig engen Holzkasten heraus, und als sie ihn
umdrehten, um ihn wegzutragen, baumelten der Kopf und die Arme schlenkernd
herab. Das Mittelschiff vermeidend, um bei den wenigen Besuchern kein Aufsehen
zu machen, schleppten sie ihn durch die Seitengänge zur Sakristei — von Dr.
Henrici gefolgt, dem trotz des Herzpochens, das ihm der Schreck verursacht
hatte, nicht das Skurrile und fast Theaterhafte dieses Aufzugs entging: von den
beiden Domschweizern in ihren altertümlichen Kostümen war der eine sehr kurz,
breit, mit vorstehendem Oberbauch, der andere lang, dürr und o-beinig, was bei
den Pluderhosen und Kniestrümpfen seiner Tracht besonders auffiel. Die
ungewohnte Last gab ihren Schritten, die an dem feierlichen Gang der
Prozessionen und geistlichen Umzüge geschult waren, etwas knieweich
Verwackeltes. Sie wirkten, als hätte man sie von der Straße weg als Statisten
zu einer Opernaufführung geholt, oder als hätten sie eine Szene aus den ›Contes
drôlatiques‹ darzustellen.
    Die Gestalt zwischen ihnen jedoch, als
man sie nun in Ermangelung einer anderen Bettungsgelegenheit auf den flachen,
steinernen Sarkophagdeckel eines längst verstorbenen Kurfürsten niederlegte,
strahlte in ihrer Unbeweglichkeit eine seltsame, endgültige Stille aus.
    »Vielleicht ist ihm nur schlecht
geworden«, sagte Henrici laut zu den schnaufenden Trägern. Dabei wußte er in
seinem Innern, noch ehe er sich überzeugen konnte: dieser Mann war tot.
Gleichzeitig bemerkte er auf dem weißen Rand seiner Stola, die er grade
abnehmen wollte, einige Blutspritzer, und als er sich jetzt zu dem
ausgestreckten Körper niederbeugte, sah er in der helleren Beleuchtung des
Sakristeivorraumes, daß ein dunkler Streifen seitlich aus seinem Mundwinkel sickerte.
»Ein Blutsturz aus der Lunge vermutlich«, sagte er, »man muß rasch einen Doktor
holen. Kennt einer von euch den Mann?« Die beiden schüttelten die Köpfe.
    »Vor dem Prälat
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