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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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unten im Musikzimmer aufgehalten hatte, war ihr zuvorgekommen, und
sie sah, während sie auf der Treppe stehenblieb, von rückwärts seine schmale
Gestalt mit der hellgrauen Litewka lose über den Schultern, wie er die mit
buntem, bleigefaßtem Glas eingelegte Tür halb offen hielt, indem er sich mit
einer fragenden Geste hinausbeugte. Gleichzeitig hörte sie von draußen die
Stimme eines Mädchens oder einer jungen Frau, die selbst noch nicht sichtbar
war, in erregtem Tonfall und mit ausländischem Akzent fragen: »Kann ich den
Herrn Panezza sprechen?«
    »Er ist nicht zu Hause«, antwortete der
junge Herr, den sie vielleicht für einen Diener gehalten hatte, »aber ich bin
sein Sohn, Jeanmarie.« — »Das kann nicht sein!« rief die Stimme der jungen Frau
draußen, fast im Aufschrei, »das kann nicht sein«, fügte sie dann leise
hinzu.
    Der junge Herr war inzwischen auf die
Stufen unter dem Glasdach hinausgetreten, und das Mädchen Bertel konnte nicht
genau hören, was gesprochen wurde, doch als es neugierig näher lief, kam
Jeanmarie bereits lachend zurück und führte eine junge Dame am Arm, die über
einem eleganten Reisekostüm eine Regenpelerine trug und ein kleines Köfferchen
in der Hand hielt.
    »Helfen Sie bitte der Signora«, sagte
der junge Herr heiter und winkte Bertel zu, während er der Dame das Köfferchen
aus der Hand nahm, »und dann bringen Sie gleich einen heißen Tee und Rum. Das
ist meine Cousine Viola, mit der ich als Kind gespielt habe — sie hat mich
nicht wiedererkannt!« — »Nun«, sagte die junge Dame und versuchte ein Lächeln,
»wir waren ja noch sehr klein, damals.« — »Allerdings«, rief Jeanmarie
aufgeräumt, »kaum vier oder fünf Jahre, aber ich habe dich trotzdem erkannt,
bevor du den Namen gesagt hast! Erinnerst du dich nicht, wie wir immer am
Rebgeländer auf die Gartenmauer hinauf -?« Er unterbrach sich, da er so etwas
wie einen gequälten Zug im Gesicht der Besucherin bemerkt hatte, woraus er
schloß, daß sie ihn schlecht verstand, und begann italienisch zu sprechen.
    ›Sie ist schön‹, dachte Bertel, während
sie der Fremden die feuchte Pelerine und das schleierverzierte Hütchen abnahm.
Ein Stich von grundloser Eifersucht zuckte ihr durch die Brust. Das Gesicht der
jungen Dame war blaß, vielleicht von den Anstrengungen einer langen Reise, die
großen, dicht bewimperten Augen, die von einem so dunklen Blau waren, daß sie
fast schwarz wirkten, ein wenig umschattet. Schwarze Locken fielen ihr über die
Ohren herab, als sie das Reisehütchen absetzte. Mit einem Blick hatte Bertel
taxiert, daß ihre Figuren fast die gleichen waren: nicht zu groß, jugendlich
straff und schlank, mit früh entwickelten Formen schmiegsamer Weiblichkeit. Die
Signorina trug Knöpfstiefelchen aus feinem Leder bis über die Knöchel hinauf,
die jetzt mit Straßenkot bespritzt waren.
    ›Komisch‹, dachte Bertel, und schaute
den beiden nach, wie sie ins Musikzimmer traten, ›warum hat sie so geschrien?‹
    »Das kann nicht sein!« hatte die Fremde
gerufen. Nun — sie hatte halt ihren Cousin nicht wiedererkannt, ihn sich anders
erwartet... und damit hatte sich wohl auch Jeanmarie den Ausruf erklärt. Aber
dem aufgeweckten Sinn des Mädchens schien es, als habe in jenem Tonfall etwas
mehr mitgeschwungen als nur Staunen und Überraschung es war eher, wie wenn
jemand eine schreckliche Entdeckung macht — oder eine schlimme Neuigkeit
erfahrt... ›Ach was geht’s mich an‹, sagte die Bertel, stampfte in einem ihr
selbst kaum bewußten, nervösen Trotz mit dem Fuß auf und ging, um die noch
offene Haustür zu schließen. Einen Augenblick trat sie auf die Stufen, sog die
frühe Nachtluft ein, die hier im Rheingau, trotz der noch winterlichen
Jahreszeit, ganz stark nach Gartenerde und nach keimenden Kräutern roch... Sie
fuhr zusammen, da sich eine dunkle Gestalt aus dem Schatten der beiden
mächtigen Edelkastanien hinter der Auffahrt löste. »Ach«, sagte sie dann, »da
ist schon die Bäumlern.«
    Eine schwer gebaute Frau näherte sich
dem Haus, mit einem graubraunen Umschlagtuch um Kopf und Schultern. Es war eine
Arbeiterwitwe aus dem Dorf, die in ihrer Jugend einmal im Haus gedient hatte
und jetzt bei Gesellschaften in der Küche zu helfen pflegte.
    »Es ist noch zu früh, Bäumlern«, rief
Bertel ihr zu, »aber komm nur schon rein!«
    Die Frau antwortete nicht, warf ihr aus
einem früh gealterten, aber noch keineswegs alten Gesicht einen bösen,
mißtrauischen Blick zu und entfernte
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