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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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Gottron seinem
Beichtstuhl«, sagte einer von ihnen umständlich, »kniet noch der Dr. Carlebach,
vom Welschnonnegäßchen. «
    »Dann bitten Sie ihn doch her«, sagte
Henrici, »und Sie«, wandte er sich an den anderen, »holen mal rasch etwas
Wasser, für alle Fäll.«
    Der Angesprochene zuckte die Achseln
und legte, bevor er ging, die Militärmütze, die er vor dem Beichtstuhl
aufgehoben hatte, mit dem Deckel nach oben auf die Brust des Dragoners, die
sich nicht bewegte.
    Henrici, als er allein mit ihm war,
fühlte eine Neigung, die Mütze wieder wegzunehmen und dem Mann auf der Brust
die Hände zu falten. Aber er wagte nicht, ihn zu berühren, bevor der Arzt es
getan hatte. Das Gesicht mit den halbgeschlossenen Augen war jetzt von einer
wächsernen Fahlheit durchtränkt, und es schien dem Priester, als beginne das
Blut am Mundwinkel zu gerinnen. Es war ein hübsches, fast schönes
Jungmännergesicht, mit einem kleinen, dunklen Schnurrbärtchen über starken
Lippen. »Nein«, sagte Henrici vor sich hin, und schüttelte den Kopf. Einen
Augenblick hatte er geglaubt, in den Gesichtszügen etwas entdeckt zu haben, das
ihm bekannt vorkam. Aber es verflüchtigte sich sofort wieder und fand keine
Bestätigung in seinem Gedächtnis. Leise begann er, das Vaterunser zu sagen. Er
war noch nicht zu Ende, als der Arzt eintrat, ein kleiner, weißhaariger Herr in
altväterlich dunkler Kleidung. Er sah aus, als habe ihn der Ruf von einer
Bußiibung für sehr läßliche Sünden weggeholt.
    »Exitus«, sagte er nach einer kurzen
Prüfung, schlug ein Kreuz und strich dem Toten leicht über die Lider.
    »So ein junger Mensch«, sagte Henrici,
»er kann doch kaum mehr als fünfundzwanzig sein. Was dem wohl gefehlt hat?«
    In diesem Augenblick fuhr der Arzt, der
den Oberkörper des Dragoners ein wenig angehoben hatte, vielleicht, um doch
noch einmal nach Herztönen zu lauschen, heftig zusammen und zog seine Hand
zurück, als hätte er sie verbrannt. Dann deutete er zwischen die Schultern des
jungen Mannes. Dort, im grünen Strahl einer Gaslampe deutlich aufblinkend, mehr
nach der linken Seite hin, war etwas, was da nicht hingehörte. Die beiden alten
Herrn schauten einander an. Die rotrandigen Augen des Doktors wässerten nervös,
und dem Domherrn war es, als krieche etwas Kaltes über die Haut seines
Hinterkopfs. Was da im Rücken des toten Mannes steckte, mitten in der kaum
befleckten, blauen Montur, war unverkennbar der Knauf einer Waffe.
    »Erdolcht«, flüsterte der Arzt und ließ
den Oberkörper des Toten vorsichtig auf die Seite gleiten.
    »Ja — aber — wieso denn — «, brachte
Henrici hervor, während tausend Gedanken und Vorstellungen gleichzeitig in ihm
aufkreuzten.
    Die beiden Schweizer, einer von ihnen
mit einem Glas Wasser in der Hand, waren herzugetreten und starrten mit
glotzigen Augen.
    »Wollen Sie bitte«, sagte Henrici zu
dem Arzt und den Wächtern, »das Nötige veranlassen — mit der Polizei und so
weiter. Ich fühle mich nicht ganz wohl.« Er wendete sich, fuhr mit der Hand
über die Stirn. »Ich stehe dann gleich wieder zur Verfügung« , sagte er noch,
»nur etwas frische Luft...«
    Langsam schritt er den Weg durch die
Kirche zurück, den sie einige Minuten vorher mit dem leblosen Körper gegangen
waren — an seinem Beichtstuhl vorbei, zu dem er einen kurzen, zerstreuten Blick
hinwarf -, weiter zu dem seitlichen Eingang, durch den der Dragoner eingetreten
war. Es war nichts zu sehen, keine Blutspur oder dergleichen, und Henrici suchte
auch nichts. Der stelzige kurze Trab des Mannes fiel ihm ein — als ob er vor
etwas habe fortlaufen wollen, das ihn doch schon ereilt hatte.
    Der innere Eingang bestand im Winter
aus zwei dick gepolsterten, schwingenden Holztüren. Zwischen diesen und der
schweren, eisenbeschlagenen Außentür, die man mit einer Metallklinke aufzog,
war ein halbdunkler Zwischenraum, jetzt schon fast gänzlich finster, da das
Licht auf der Seite über den gedruckten Kundmachungen der Diözese — wohl durch
die Abhaltung der Domwächter oder eine Verspätung des Küsters — noch nicht
angezündet war. ›Hier‹, dachte Henrici schaudernd, ›kann es geschehen sein...
Oder?‹
    Als er langsam die Außentür öffnete, um
seine Lungen mit der kühlen, regnerischen Abendluft zu füllen, war es ihm, als
ob auf der halbdunklen Straße etwas wegliefe... Er hatte, ohne sich genau
darüber Rechenschaft zu geben, ganz deutlich das Gefühl von ›etwas‹ — also
nicht unbedingt von einem
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