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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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anderen Pfarrkirchen gehört wurde. Sie sollte
wohl solchen, die es in diesen Tagen zu arg getrieben hatten, die Gelegenheit
zu einer sofortigen Erleichterung und Reinigung ihres Gewissens bieten, bevor
der Alltag sie wieder mit anderen Sorgen belastete. Eigentlich hätte man sie
›die Aschermittwochsbeichte‹ nennen können, da sie in den ersten Dämmerstunden
dieses Tages stattfand, aber der Name ›Fastnachtsbeichte‹ hatte sich erhalten,
denn für konsequente Narren gehörte die ganze Nacht vom Dienstag bis zum hellen
Morgen des Mittwoch noch zur Fastnacht, die erst zu Ende war, wenn nach der
Frühmesse den Gläubigen das erste Aschenkreuz auf die Stirn gemalt wurde — das
Zeichen der anbrechenden Passion.
    Als der Domkapitular Henrici den
Seiteneingang vom Liebfrauenplatz her betrat — was er seit jenem Samstag stets
mit einem leisen Schauer tat — , um sich zu seinem Beichtstuhl zu begeben,
schreckte er heftig zusammen. Zwischen den beiden Türen, im trüben Licht der
Wandlampe schwarz wie ein Schatten, stand eine verhüllte Gestalt. Sie stand
dort, als habe sie auf ihn gewartet. Näher tretend, erkannte er, daß es eine
Frau war, die — offenbar über einer Maskenkleidung — einen weiten Mantel trug.
    »Ich bin Viola Moralto«, sagte sie,
»die Nichte des Herrn Panezza — und ich habe den Wunsch und die Bitte, mich
Ihnen zu bekennen.«
    Schweigend führte er sie in die noch
völlig leere, nur von wenigen Wachsstöcken erhellte Kirche und forderte sie
flüsternd auf, sich in einem Gebet zu sammeln, bis er in der Sakristei sein
Chorhemd und seine Stola angelegt habe.
    Als er zurückkam, kniete sie schon in
seinem Beichtstuhl — dort, wo man am Samstag den Toten herausgehoben hatte.
    »Sie können«, sagte er leise, da er
ihren erregten Atem hörte, »Ihre Muttersprache benutzen, wenn Ihnen das leichter
fällt. Ich habe viele Jahre in Palermo am Kirchenhistorischen Institut gelesen,
und Ihr Name ist mir nicht unbekannt.«
    Kürzer als vorher im Gericht, gab Viola
ihm den Umriß ihrer Geschichte, deren Zusammenhänge er kannte oder ahnte und
aus Andeutungen verstand. Dann aber brach, wie ein Blutstrom, in heißen Worten,
deren Ton sie nicht mehr wählen und kaum noch zügeln konnte, das letzte,
wahrhaftige Geständnis aus ihr hervor.
    »Ich habe ihn nicht getötet«, hörte er
den geborstenen, verbrannten Klang ihrer Stimme, »aber ich habe es gewollt! Ich wollte ihn wieder haben, — ich habe ihn gewollt — mit allen keuschen
und unkeuschen Gedanken, mit allen heiligen und lasterhaften Wünschen der Welt
— ich wollte ihn — tot oder lebendig, und wenn ich ihn nicht mehr haben konnte
— lieber tot! Ich wußte nicht, daß es geschehen war — aber es ist dennoch mit
meinem Willen und durch meine Schuld geschehn. Denn ich liebte ihn — ich liebte
ihn tödlich, mörderisch — ich wußte nichts von der Liebe, jetzt weiß ich, sie
ist eine furchtbare, eine unbarmherzige Gewalt. Und habe ich damit nicht auch
die Schuld an zwei Seelen auf mich geladen — der des Mörders und der des
Ermordeten — die beide unerlöst und im Zustand der Ungnade, aus dieser Welt
gegangen sind?«
    »Können Sie vor Ihrem Gott bekennen«,
fragte Henrici, »daß Sie dem Täter keinen Befehl, keinen Auftrag zum Mord
gegeben haben?«
    »Mit keinem Wort«, sagte Viola, »mit
keiner Silbe. Aber - ich habe es gedacht.«
    Gedacht — ging es Henrici durch den
Sinn, während er versuchte, mit den Worten seines Glaubens ihr Zuspruch und
Trost zu geben — gedacht — Gedanke — Wurzel aller Schuld... Nicht als sie
erkannten, daß sie nackt waren, verloren sie ihre Unschuld — denn Unschuld ist
in aller, auch in der Mensch-Natur — , sondern als sie sein wollten wie Gott.
Und will nicht der Liebende, seiner Passion verfallen, sein wie Gott — indem er
das andere Leben ganz besitzen, behalten, für sich nehmen will — und nie mehr
loslassen, und für immer haben — als seien ihm die Macht und die Schlüssel der
Ewigkeit verliehen?
    »Wir müssen uns«, sagte er zu ihr, die
nun unbeweglich und unhörbaren Atems lauschte, »an die Gebote und die gesetzten
Artikel unseres Glaubens halten — aber niemand kennt die Grenzen der
Barmherzigkeit.
    Jeder Tod, auch der des Unerlösten,
trägt das Stigma des Opfertods. Vielleicht sind die beiden, um die du jetzt
leidest, für dich gestorben, für deine Seele, und für die deines Kindes.
    Gehe in Unschuld, und trage dein
Leben.«
    Er lüpfte den Vorhang, als sie den
Beichtstuhl verließ. Er
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