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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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seinen mit.
    Auch jetzt hatte ich noch nicht die
Idee, daß er ein wirklicher Betrüger wäre — und ein anderer als der, für den er
sich ausgegeben hatte. Immer noch, bis zum Augenblick meiner Ankunft in eurem
Haus, war er für mich Jeanmarie — nur glaubte ich ihn auf schiefe Bahn, auf
schlimme Wege geraten — , und ich folgte ihm mehr, um ihn zu retten, um ihm zu
helfen, um die Sache mit dem Schmuckstück auf irgendeine Weise in Ordnung zu
bringen, bevor sie herauskommen würde, und ihn vor den Folgen zu bewahren, als
etwa um einer Rache willen, von der ich nichts in mir verspürte... Doch was ich
in Wahrheit wollte, war nur, ihn wiederhaben. Denn ich liebte ihn, trotz der
Empfindungen dieser Nacht, mit unverminderter Leidenschaft, und er war der
Vater meines werdenden Kindes.
    Es ging aufs Wochenende, ich sagte, ich
wolle es — was nichts Ungewöhnliches war — bei einer Freundin am Meer
verbringen, und packte nur ein, was man für einen solchen Ausflug braucht. In
Anwesenheit meiner Mutter, die es nicht für nötig hielt, den Inhalt zu
kontrollieren, stellte ich die leere Schmuckschachtel in die Kassette zurück,
in der sie kostbare Sachen aufbewahrt: so konnte ich sicher sein, daß die
Entwendung vorläufig nicht bemerkt würde.
    Das war erst vor wenigen Tagen — und es
war, wie ich schon sagte, für meine Eltern nichts Ungewohntes, mich für ein Wochenende
oder auch länger zu meiner Freundin fahren zu lassen, in deren Elternhaus ich
wohlgeborgen war, so daß ich keine Fragen oder Nachforschungen zu befürchten
brauchte. Auch nahm ich Lolfo mit — ich hatte das zu diesen Besuchen schon
öfters getan — , unter dessen Schutz meine Eltern mich auf den einsamsten
Bergwegen sicher wußten. Ich nahm ihn nicht nur mit, um meine Reise zu
verschleiern, ich wollte nicht allein sein, ich hatte eine unbestimmte Angst,
vor allem, was kommen würde, auch vor der Reise selbst, und ich wollte ihn
nicht allein zurücklassen, auch um ihn hatte ich Angst — eine grundlose
unerklärliche Angst, als würde ich ihn, wenn ich allein führe, nicht mehr
wiedersehn... Und da ich die Pistole nicht mehr besaß, nahm ich das Stilett an
mich, das in einem Schrank mit andren Familienstücken aufbewahrt wurde, denn
ich fühlte mich auf einer so langen Reise, wie ich sie noch nie allein
unternommen hatte, in Unsicherheit, besonders wegen des Umsteigens vom Schiff
in den Zug und des Gangs durch das Hafenviertel — denn wir reisten spät abends
— am Abend desselben Tages, an dem der, den ich für Jeanmarie hielt,
verschwunden war. Da das Stilett für meine Handtasche zu lang war, gab ich es
Lolfo, der es in seiner Kleidung verbarg und der mich ja auch, sollten wir in
Gefahr kommen, beschützen würde.
    So fuhren wir ohne Aufenthalt hierher.
Ich wußte nicht, ob der, den ich suchte, sich wirklich hierher gewandt hatte —
die Geschichte von der Erkrankung seiner Mutter glaubte ich nicht — , aber ich
ahnte nicht, wo sonst ich ihn hätte suchen sollen — und ich gedachte mich dir,
seinem Vater, anzuvertrauen.«
    Sie gab Panezza, der die Augen mit der
Hand bedeckt hatte, einen warmen, dankbaren Blick.
    »Am hiesigen Bahnhof«, beendete sie mit
müder Stimme ihre Geschichte, »begab ich mich zu dem kleinen Auskunftsschalter,
rechts vorne neben dem Hauptausgang zur Straße, um zu erfragen, wie ich am
besten nach Nieder-Keddrich hinauskommen könne. Es war gegen fünf am
Samstagnachmittag. Da gab Lolfo, der neben mir stand und meine Reisetasche
hielt, plötzlich Laut — ich kann es nicht anders ausdrücken als mit diesem Wort
aus der Jägersprache er hatte schon die ganze letzte Zeit, kurz vor der Ankunft
und beim Aussteigen aus dem Zug, eine merkwürdige, witternde Unruhe gezeigt;
jetzt brachte er jenen Laut hervor, den ich genau von ihm kannte, wenn er
etwas, oder jemanden, aufgespürt hatte — und einen anderen noch, den ich nicht
kannte und bei dem mir das Blut gerann — den wilden, knurrenden, tollwütigen
eines anspringenden Raubtiers.
    Im gleichen Augenblick ließ er meine
Tasche fallen und stürzte ins Gewühl der Straße hinaus, der Bahnhofplatz war in
dieser Stunde schwarz von Menschen — und ich verlor ihn sofort aus dem Gesicht.
Es war mir klar, daß er den Gesuchten entdeckt hatte — ich selbst hatte nichts
von ihm gesehen — , vielleicht hatte er irgendwo einen Anschluß verpaßt und war
im gleichen Zug mit uns angekommen, vielleicht ging er nur zufällig draußen
vorüber. Ich versuchte, in Todesangst, Lolfo
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