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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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der Nachtapotheke geholt
worden war und mit dem er Violas Schläfen und Pulsadern gerieben hatte.
    Der Nachtpförtner hatte aus einer der Zellen
für Untersuchungshäftlinge eine Matratzenpritsche herbeigeschleppt, auf der
ausgestreckt Viola allmählich wieder zum Bewußtsein gekommen war. Es brannte
nur eine Stehlampe auf dem Tisch, Merzbecher hatte die grelle Deckenbeleuchtung
ausgeschaltet. Beide Herren rauchten und warteten schweigend, bis Viola, an
ihrem Kaffee nippend, sich erholt hatte.
    »Sie wollen wissen«, sagte sie nach
einiger Zeit zu Merzbecher, »wer Lolfo war — « Ihre tiefe, glockendunkle Stimme
klang ruhig und fest.
    »Wir fanden einen Ausweis in seiner
Tasche«, sagte Merzbecher, »der ihn als Ludolfo Ferrari, Holzarbeiter auf Gut
Moralto, gebürtig aus dem Dörfchen Irmini im Landkreis Palermo kennzeichnete.«
    »Das stimmt«, sagte sie, »so war er
getauft. Er war mein Bruder.« Sie schwieg, stellte ihre Kaffeetasse weg, schien
in die Ferne zu sehn. Panezza hatte sich vorgebeugt, hielt die Hände über
seinen Knien verschränkt. Dann begann Viola zu erzählen, in einem
gleichmäßigen, fast unbeteiligten Tonfall.
    »Die meisten Herren von Stand oder Vermögen«,
fing sie an, »haben bei uns außer ihren Palazzi in der Stadt, in denen es
gesittet und langweilig zugeht, kleinere oder größere Landhäuser, am Meer, oder
zur Jagd in den Bergen, wo sie ohne ihre Familie, je nach ihren Geschäften,
einige Wochen oder Monate des Jahres zu verbringen pflegen, um mit Freunden in
ähnlichen Verhältnissen oder den Gutsbesitzern der Nachbarschaft ein Leben zu
führen, wie es ihnen lustig und angemessen erscheint. Zu den ländlichen
Vergnügungen, mit denen man sich die Zeit vertrieb, gehörte hauptsächlich das
Verführen hübscher Bauern- oder Fischermädchen, oder auch der jungen
Dienstweiber im Haus. Die Pächter oder Majordomos waren dabei ihren Herren
behilflich und machten es ihnen bequem, beim Aufspüren, Anlocken oder Zutreiben
der Beute, wobei auch ihnen gelegentlich etwas in den Schoß fiel — und
natürlich gebärdeten sich diese, die Subalternen, die selbst niedriger Abkunft
waren, herrschaftlicher als der Herr, das heißt, nicht nach der noblen, sondern
nach der herrischen Seite. Die Mutter Lolfos muß das Opfer einer solchen
Herrenlaune gewesen sein.«
    Sie war unwillkürlich in die Form der
Vergangenheit verfallen, als erzähle sie eine Geschichte aus längst
geschwundener Zeit, mit der sie selbst nichts zu tun hatte.
    »Die Mädchen wurden dann, wenn man
ihrer überdrüssig oder wenn eine von ihnen schwanger geworden war, sehr
anständig abgefunden, bei den Schwangeren sorgte man für eine Heirat und
stattete sie aus, verpachtete ihnen wohl auch zu billigem Zins ein Stückchen
Land, um ihre Zukunft als Bauersleute und die des Kindes zu sichern, um das man
sich dann nicht mehr weiter kümmerte.
    Es lebt aber manchmal auch in den
kleinen Leuten ein großer Stolz, eine Verachtung, oder sogar ein Gefühl —
vielleicht hing dieses Mädchen an meinem Vater... Jedenfalls machte sie
Schwierigkeiten, als es zur Abfindung kommen sollte, weigerte sich, den ihr
zugedachten Contadino zu heiraten oder Geld zu nehmen, und erschien mehrmals
auf dem herrschaftlichen Gut, um etwas zu fordern, was sie für ihr Recht hielt
— vermutlich Liebe, auf die es ein Recht nicht gibt.
    Sie soll, in Abwesenheit meines Vaters,
von einem besonders brutalen Majordomo — ich habe ihn nicht mehr gekannt, er
wurde dann bald entlassen — mit den großen und wilden Hunden vom Hof gehetzt
worden sein, die man dort im Zwinger hielt. Sie war damals schon schweren
Leibes, und die Hunde rissen ihr das Kleid vom Leib und die Haut in Fetzen. Sie
gebar dann in einer Höhle und starb dabei. Das Kind fand man lebend, es hatte
die Gestalt eines kleinen Hundes.«
    Sie schwieg eine Weile, warf einen
Blick auf die geschlossene Tür der Leichenhalle.
    »Ich sagte Ihnen schon«, fuhr sie fort,
»er hatte schöne Augen, groß und dunkelblau, Augen wie ich«, sagte sie ohne
Eitelkeit oder Verschämtheit, »nur daran hätte man uns als Geschwister erkennen
können, wenn es jemand gewollt hätte. Ich selbst habe es, auch die Geschichte
seiner Mutter und seiner Geburt, von einer alten Dienerin erfahren, die von
Kind auf draußen auf unsrem Landgut gelebt hatte und die es mir auf ihrem
Totenbett anvertraute, obwohl ich damals selbst noch ein Kind war. Sie hatte
sich des kleinen Krüppels angenommen, den man zuerst in irgendeine Anstalt
geben
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