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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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auch von einem erspielten,
erlisteten, vorgetäuschten — dennoch vom Glück.
     
     
    A ls sie zum Auto kamen — nachdem
Jeanmarie im Saal nur Bettine, aber weder seinen Vater noch Viola hatte auffinden
können — , wurde ihm dort vom Chauffeur die Nachricht übermittelt, Herr Panezza
sei noch mit der Signorina und einem Dr. Merzbecher ausgegangen. Es könne spät
werden, die Geschwister möchten ruhig nach Haus fahren, und falls Herr Panezza
den Wagen noch brauche, werde er dann beim Standplatz am Bahnhof anrufen.
    »Da sind sie bestimmt zur Wocker, ins
Theater-Café«, sagte Bettine, nichtsahnend, »dort gibt es jetzt Katergulasch
und Bier — wollen wir auch noch hin?«
    »Nein«, sagte Jeanmarie, während Bertel
heimlich seine Hand preßte, »ich muß früh zum Dienst — ich bringe euch jetzt
nach Hause.«
    Er wußte natürlich, was die Nachricht
bedeutete, aber merkwürdigerweise betraf und erschreckte ihn das nicht so sehr,
wie er geglaubt hätte. Er fühlte sich sonderbar: verwirrt, etwas schuldbewußt,
aber nicht verzweifelt. Er war besorgt um Viola, wie er es um seine Schwester
gewesen wäre — vielleicht mit einem dunkleren, beklommeneren Unterstrom aber es
war nicht mehr, was er vor ein paar Stunden noch empfunden hätte, sein Schicksal, um das es ging. Er dachte an ihr bleiches, leidvolles Gesicht, und
sein Herz zog sich zusammen. Dann spürte er, zwischen den beiden auf der
breiten Rückbank des Wagens sitzend, das Mädchen neben sich — und er schämte
sich fast, aber der leise Druck ihres Knies unter der übergebreiteten Pelzdecke
erregte ihn und beglückte ihn weiter.
    »Nun hör endlich auf!« herrschte er
seine Schwester an, die immer noch über ihren gelungenen Spaß mit dem Assessor
gickelte.
    Bettine schwieg beleidigt.
    »Wo Katharina wohl abgeblieben ist?«
fragte sie nach einer Weile, »ich habe sie nicht mehr gesehn.«
    »Sie wird müde gewesen sein«, sagte
Jeanmarie, »nach all diesen Tagen.«
    »Ich bin auch müde«, sagte Bettine
launisch, wie ein verwöhntes, vertrotztes Kind nach einem zu schönen Fest.
    Stumm fuhren sie weiter, die einsame
Rheinuferstraße entlang. Auch Bertel fühlte sich schuldbewußt — aber nicht
allzusehr. Es war ja nicht ihre, sondern Bettines Idee gewesen — und im Grunde
vertraute sie der Kraft und dem Reiz ihres Liebesdrangs, denn sie spürte, daß
Jeanmarie ihm auch jetzt nicht widerstehen konnte.
    Vorm Gartentor entlohnte er den
Chauffeur, damit das Einfahren des Autos über den Kiesweg seine Mutter nicht
wecken könne, und an der Haustür verabschiedete er sich von Bettine, die immer
noch launisch verstimmt war und über Kopfschmerzen klagte. Bertel begleitete
sie in ihr Schlafzimmer, um ihr beim Ablegen des Kostüms und mit der
Nachtfrisur zu helfen.
    Dann ging er in seine Räume, zog rasch
die Maske aus, wusch sich und kleidete sich, da er sehr früh zum Dienst mußte,
in seine Uniform. Nur die Stiefel, an denen die Radsporen klirren würden,
behielt er in der Hand — man war gewohnt, im Hause nachts lautlos zu gehen,
auch waren alle Türangeln geölt, mit Rücksicht auf die nervöse Schlaflosigkeit
von Frau Clotilde, die aber auch, wenn ein Möbel umfiel, nie etwas hörte.
    So kam er ohne Geräusch die breite
Stiege hinab und in den Garten. Leise ging er ums Haus herum, schaute hinauf.
Bei Bettine war es schon dunkel. Aber droben in Bertels Zimmer brannte Licht.
Sie war allein droben — die Köchin, deren Eltern im Dorf wohnten, hatte noch
bis zum Morgen Urlaub. Er hatte an seinem Schlüsselbund auch den Türschlüssel
zum Kücheneingang, von dem die Hintertreppe zu den Mädchenzimmern hinauf führte.
Die Gardine an Bertels Fenster bewegte sich. Er wußte, daß sie auf ihn wartete
— wartend auf den vom Lichtschimmer ihres Fensters beschienenen Gartenweg
hinunter spähte. Er blieb unter den hohen Kastanien im Dunkel, stand fröstelnd.
Violas Bild versuchte, sich in ihm aufzurichten — aber er konnte es nicht mehr
genau erkennen. Er konnte sich jeden ihrer Züge, jede Einzelheit ihres Wesens
ins Gedächtnis rufen, aber nicht mehr das Ganze, nicht ihr wahrhaftes Bild, das
ihm in den Augen zerging. Die Bertel sah und erkannte er als eine ganze Person,
sobald er an sie dachte. Er zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf...
    Nein, er würde jetzt nicht die Treppe
hinaufschleichen. Es kam ihm genant vor, peinlich, geschmacklos. Nicht jetzt.
Nicht über diese Stiege, mit den Schuhen in der Hand... Etwas hielt ihn zurück,
und es waren nicht nur der
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