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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte
Autoren: Carl Zuckmayer
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zurückzupfeifen — es gab einen
bestimmten Pfiff zwischen uns, mit dem ich ihn immer und überall herbeirufen
konnte — , aber er hörte mich wohl nicht mehr, und ich konnte ihm nicht folgen,
weil in diesem Augenblick ein langer Zug mit halb maskierten, singenden Männern,
hinter einer Kapelle her, über den Platz und die Straße hinaufmarschierte.«
    »Die närrischen Rekruten«, nickte
Merzbecher.
    Viola schwieg. Sie hatte nichts mehr zu
sagen.
    »Hat Lolfo gewußt «, fragte Merzbecher
nach einer Weile, »daß der falsche Jeanmarie — Sie verlassen hatte?«
    Viola hob ungewiß die Schultern. »Er
wußte alles«, flüsterte sie dann.
    »Und so ist er ihm«, sagte Merzbecher
vor sich hin, »auf der Ferse geblieben, und hat sich auch, dank jenes
merkwürdigen Spürsinns, durch die Verkleidung nicht täuschen lassen, als er in
Uniform aus der Wirtschaft kam. Ob der Verfolgte dann aus Todesangst in den
uralten Schutzbann der Kirche geflüchtet ist — oder ob es etwas anderes war,
das ihn plötzlich zum Dom trieb, an dessen Schwelle ihn sein Schicksal ereilt
hat — , das werden wir nie erfahren.«
    Er schloß das kleine Heft, in das er
sich während ihrer Erzählung einige Notizen gemacht hatte.
    »Ich sehe keinen Anlaß«, sagte er zu
Panezza, »die junge Dame hierzubehalten. Eine Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr
liegt nicht vor — Sie werden sich ja um sie kümmern — , und es besteht kein
Grund zu einer Verhaftung, da sie als Täterin nicht in Frage kommt.«
    Die einzige Frage, die das Gericht noch
zu klären habe, ob es einen Tatbestand der Anstiftung geben könne, was ihm aber
auch zweifelhaft erscheine und wohl in jedem Fall kaum beweisbar sei. Viola
könne inzwischen den Rat eines Rechtsbeistands einholen.
    Er schaute Viola an, die mit anderen
Gedanken beschäftigt schien.
    »Er war getauft«, sagte sie plötzlich,
und es war klar, daß sie von Lolfo sprach, »kann er wie ein Christ beerdigt
werden — ich meine — wie ein Mensch...?«
    »Ich glaube bestimmt«, sagte Panezza,
»ich will mit dem Pfarrer sprechen. Wir werden ihn draußen in Nieder-Keddrich
beisetzen — neben dem Ferdinand.«
    »Ferdinand«, sagte Viola, ganz abwesend
und in sich verloren, »wer ist das?«
     
     
    E s graute schon am Himmel, und die
Morgenkühle wehte vom Rhein, als Panezza sie langsam durch die Stadt führte.
Sie fror, und er hielt seinen Arm und einen Teil seines eignen Mantels um ihre
Schultern gelegt.
    Wie Spukgestalten huschten zwischen den
Häusern die letzten Masken davon, da und dort torkelten vereinzelt Betrunkene
herum, mit sich selbst sprechend oder lallend, dämonische Nachtwandler. In
einem Haustor versuchte ein Mann, ein laut weinendes Mädchen zu trösten.
    Panezzas Kopf war wirr und müde, doch
seine Gedanken beschäftigten sich brennend mit Viola, die schweigend mit ihm
Schritt hielt, und ihrem künftigen Leben.
    »Du sollst wissen«, sagte er nach
einiger Zeit und blieb mit ihr stehen, »daß ich immer für dich sorgen würde,
wenn du es brauchst — dir jede Art von Hilfe und Beistand gewähren — du wirst
bei uns allezeit ein Heim finden — auch wenn du nicht mehr allein bist.«
    Er faßte sie bei der Hand, und da sie
kalt war, nahm er sie zwischen seine beiden warmen, festen Männerhände.
    »Ich glaube«, sagte er langsam, »wenn
mein Sohn alles erfährt, er würde um dich anhalten — um dem Kind einen Namen zu
geben — , den Namen, der ihm zugedacht war... Ich glaube«, fügte er zögernd
hinzu, »er hat dich gern.«
    Viola drückte seine Hände, schüttelte
mit einem traurigen Lächeln den Kopf. »Nein«, sagte sie, »das wäre zu leicht...
und zu schwer.«
    Sie gingen ein paar Schritte weiter.
    »Ich bin nicht unschuldig«, sagte sie
plötzlich — wie in einer Antwort auf seine Gedanken — »ich habe nicht alles
gesagt. Nicht — das Letzte.«
    Panezza schwieg. Er wußte, daß sie ihm jetzt nichts mehr sagen könne. Daß es für sie nur noch ein anderes, ein außermenschliches
Gehör gab.
    »Komm«, sagte er — einer jähen
Eingebung folgend — und bog von der Rheinstraße ab, auf der sie zum Frühboot
hatten gehen wollen.
    Durch winklige Gassen und über stille,
heimliche Plätze, an kleinen Erkerchen, edlen Häuserfronten und schweigend
verschlossenen, steinumwölbten Kirchentüren vorbei, lenkte er ihre Schritte zum
Dom.
     
     
    E s gab nämlich damals noch, in manchen
Städten am Rhein, eine alte Einrichtung, welche ›die Fastnachtsbeichte‹ hieß —
die aber nur im Dom, nicht in
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