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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit
Autoren: Connie Willis
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sich daran, wie Sie mich gebeten haben, den Fokus auf die Inkonsequenz in Coventry 1940 zu richten und ich Ihnen sagte, daß das Bild beinahe dem von der Waterloo-Suppenkessel- Simulation glich?«
    »Mhm.« Ich horchte auf.
    »Also, die Betonung liegt auf dem Wort beinahe.« Wieder zauberte er eines seiner verschwommenen grauen Bilder auf den Schirm. »Es deckt sich bei dem Schlupfverlust an der Peripherie des Geschehens und in den Hauptgebieten, ebenso hier«, er zeigte auf Flächen, die alle gleichermaßen grau und verschwommen aussahen. »Aber nicht bei dem Schlupfverlust direkt um den Ort des Geschehens herum. Obwohl es dort einen Schlupfverlust gab, wo Mrs. Bittner die Vogeltränke durchgebracht hat, war dieser nicht ansteigend.«
    »Vielleicht gab es nicht genügend Raum für einen Anstieg«, sagte ich. »Lizzie hatte nur einen sehr kurzen Zeitraum zur Verfügung – den zwischen der Zerstörung der Gegenstände und dem Zeitpunkt, wo man sie zuletzt gesehen hatte. Das sind nur wenige Minuten. Erhöhter Schlupfverlust hätte sie vielleicht mitten ins Feuer gebracht.«
    »Ja, aber selbst wenn man das berücksichtigt, gibt es immer noch das Problem des direkten Umkreises«, sagte T. J. und wies auf nichts Bestimmbares. »So wie hier.« Er gab etwas ein. »Ich habe den Fokus nach vorn gerichtet.« Ein undefinierbares graues Bild erschien.
    »Nach vorn?«
    »Ja. Natürlich hatte ich nicht die Zeit, genügend Daten zu sammeln, um den genauen Ort im Raumzeitgefüge zu bestimmen, wie Sie das konnten, also mußte ich einfach annehmen, daß der Schlupfverlust im Umkreis eigentlich der periphere ist, und von dort aus einen neuen Fokus einstellen.«
    Ein weiteres Bild erschien. »Das ist das Modell von Waterloo. Ich lege es jetzt über das Bild mit dem neuen Fokus. Sehen Sie, wie es paßt?«
    Ich sah es. »Auf welche Zeit richtet sich der neue Fokus?« fragte ich. »Auf welches Jahr?«
    »2678.«
    2678. Über sechshundert Jahre in der Zukunft.
    »Fünfzehnter Juni 2678«, sagte er. »Wie ich schon sagte, es hat vielleicht nichts zu bedeuten. Ein Fehler in der Berechnung.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann war es nicht Mrs. Bittner, die die Inkonsequenz erzeugte.«
    »Aber dann…«
    »… ist das Ganze nur Teil einer größeren Selbstkorrektur.«
    »Der Selbstkorrektur von was?«
    »Keine Ahnung«, sagte er. »Von etwas, das noch nicht geschehen ist. Etwas, das…«
    »… 2978 passieren wird. Auf welchen Ort richtet sich der neue Fokus?« fragte ich. Lag der etwa genauso weit entfernt wie das Datum? Addis Abeba? Der Mars? Die Kleine Magellanische Wolke?
    »Oxford«, sagte T. J. »Die Kathedrale von Coventry.«
    Die Kathedrale von Coventry. Am fünfzehnten Juni. Verity hatte recht behalten. Das Schicksal hatte uns dazu bestimmt, des Bischofs Vogeltränke zu finden und in die Kathedrale zurückzubringen. Und alles andere, der Verkauf der neuen Kathedrale und Lady Schrapnells Idee, die alte wiederaufzubauen, unsere Entdeckung, daß unwichtige Objekte mit durchs Netz gebracht werden konnten, all das war Teil einer riesigen Selbstkorrektur, eines Großen…
    »Ich muß das alles noch mal gegenrechnen und ein paar Testläufe durchführen«, sagte T. J. »Machen Sie sich keine Sorgen. Wahrscheinlich liegt der Fehler in der Waterloo-Simulation. Sie ist ja nur ein ungenaues Modell.«
    Er tippte auf die Tasten, das Grau verschwand, und er faltete den Schirm zusammen.
    »T. J.«, sagte ich. »Was entschied Ihrer Meinung nach die Schlacht von Waterloo? Napoleons Handschrift oder seine Hämorrhoiden?«
    »Keines von beiden«, erwiderte er. »Und sicher auch nichts von dem, was wir simuliert haben – Gneisenaus Rückzug nach Wavre oder der Bote, der sich verlaufen hatte oder das Feuer in La Sainte Haye.«
    »Was meinen Sie?« Ich ließ nicht locker.
    »Eine Katze«, sagte er.
    »Eine Katze?«
    »Oder ein Karren oder eine Ratte oder…«
    »… die Vorsitzende eines Kirchenausschusses«, vollendete ich.
    »Genau«, sagte T. J. »Etwas so Unwichtiges, daß niemand es bemerkte. Das ist das Problem mit den Modellen – sie enthalten nur das, was die Menschen für wichtig halten, und Waterloo war ein chaotisches System. Alles war wichtig.«
    »Und wir sind alle kleine Kleppermans«, sagte ich, »und finden uns plötzlich auf Positionen wieder, die außerordentlich wichtig sind.«
    »So ist’s.« Er grinste breit. »Und wir wissen auch alle, wie’s mit Marineleutnant Klepperman ausgegangen ist. Und wie’s mit mir ausgehen wird, wenn ich
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