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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit
Autoren: Connie Willis
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Westportal gab es die ersten Anzeichen eines Menschenauflaufs. Es half nichts – ich mußte des Bischofs Vogeltränke selbst an ihren alten Platz stellen.
    Ich trug sie hinüber zur Smithschen Kapelle, voller Bedenken, daß inzwischen der schmiedeeiserne Pfosten verschwunden sein könnte, aber er war an seinem richtigen Platz vor der Chorschranke. Vorsichtig setzte ich des Bischofs Vogeltränke darauf.
    Blumen. Es mußten Blumen hinein. Ich ging zur Kanzel und der Frau mit der grünen Schürze. »Die Vase vor der Chorschranke in der Smithschen Kapelle bräuchte noch Blumen«, sagte ich. »Gelbe Chrysanthemen.«
    »Gelbe Chrysanthemen!« Sie griff hastig und mit panischem Gesichtsausdruck nach einem Handy. »Hat Lady Schrapnell Sie geschickt? Mir wurde nichts von gelben Chrysanthemen gesagt.«
    »Es hat sich eben erst herausgestellt«, erklärte ich. »Sie haben nicht zufällig Lady Schrapnell gesehen, oder?«
    »Girdlersche Kapelle«, sagte sie, Gladiolen in die Vase vor der Kanzel rammend. »Chrysanthemen! Wo um alles in der Welt soll ich gelbe Chrysanthemen herbekommen!«
    Ich wollte den Gang im Querschiff hinuntereilen, aber er war verstopft mit Chorknaben und Menschen in akademischer Robe. »Alle herhören!« rief ein junger Mann, der Reverend Arbitage aufs Haar ähnelte. »Hier ist die Prozessionsordnung. Zuerst die Weihrauchträger, dann der Chor. Danach die Angehörigen der Historischen Fakultät, College nach College. Mr. Ransome, wo ist Ihr Talar? Volle akademische Insignia, so lautet die Anweisung.«
    Ich schob mich durch eine der Bänke seitwärts in den Nordgang zum Kirchenschiff. Da entdeckte ich Dunworthy.
    Er stand am Durchgang zur Girdlerschen Kapelle, an einen der Bogenpfeiler gelehnt, offenbar um sich zu stützen, und hielt ein Blatt Papier, das, während ich zusah, aus seiner Hand fiel und zu Boden flatterte.
    »Was ist?« Ich eilte hin. »Geht es Ihnen nicht gut? Kommen Sie.« Ich legte den Arm um ihn und führte ihn zur nächsten Bank. »Setzen Sie sich.« Ich hob das Blatt Papier auf und setzte mich neben ihn. »Was ist passiert?«
    Er lächelte mich an, ziemlich blaß, wie mir schien. »Ich habe gerade das Kinderkreuz gesehen«, sagte er, dahin deutend, wo es in der Girdlerschen Kapelle hing. »Und begriffen, was es bedeutet. Wir waren so mit der Inkonsequenz, mit Finchs Auftrag und damit, Carruthers rauszuholen, beschäftigt, daß ich bis eben nicht gemerkt habe, was das alles bedeutet.«
    Er griff nach dem Blatt, das ich aufgehoben hatte. »Ich habe eine Liste angefertigt«, sagte er.
    Ich schaute auf das Blatt in meiner Hand. »Die Bibliothek von Lissabon«, stand da. »Die Öffentliche Bibliothek von Los Angeles. Die Französische Revolution von Carlyle. Die Bücherei von Alexandria.«
    Ich starrte Dunworthy an.
    »Alles verbrannt«, sagte er. »Ein Dienstmädchen verbrannte versehentlich das einzige Exemplar von Carlyles Buch.« Er nahm das Papier. »Das ist nur, was mir jetzt spontan eingefallen ist.« Er faltete die Liste. »Die St. Paul’s Kathedrale wurde durch eine Luftmine zerstört. Und alles, was darin war – Das Licht der Welt, Nelsons Grab, die Statue von John Donne. Wenn ich mir vorstelle, daß es…«
    Der Kurator kam herbei. »Mr. Dunworthy«, sagte er. »Sie müssen sich jetzt aufstellen.«
    »Haben Sie Lady Schrapnell gesehen?« fragte ich ihn.
    »Vor ein paar Minuten war sie noch in der Draperschen Kapelle«, sagte er. »Mr. Dunworthy, sind Sie bereit?«
    »Ja«, sagte Dunworthy. Er nahm sein Barett ab, steckte die Liste hinein und setzte es wieder auf. »Ich bin bereit für alles.«
    Ich eilte das Kirchenschiff entlang zur Draperschen Kapelle. Im Querschiff wimmelte es von Dekanen, und Miss Warder versuchte, die Chorknaben aufzustellen. »Nein, nein, nein!« schrie sie. »Nicht hinsetzen! Ihr zerknittert die Gewänder. Ich habe sie gerade gepreßt. Stellt euch auf! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«
    Ich rannte an ihr vorbei hinüber zur Draperschen Kapelle. Dort sah ich Verity, die vor dem Buntglasfenster stand, ihren wunderschönen Kopf über ein Blatt Papier gebeugt.
    »Was ist das?« Ich ging zu ihr. »Die Gottesdienstordnung?«
    »Nein. Ein Brief. Erinnerst du dich noch, nachdem wir Mauds Brief fanden, schlug ich doch der Gerichtsmedizinerin vor, nach weiteren Briefen zu forschen, die Tossie vielleicht an andere Personen geschrieben haben könnte.« Sie hielt das Papier hoch. »Hier ist einer.«
    »Du machst Witze«, sagte ich. »Und ich nehme an, Baines Name
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