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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit
Autoren: Connie Willis
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zu stimmen. Über das Folgende bin ich mir nicht ganz sicher, aber ich vermute, daß im Laufe des Streits, der folgte, Miss Sharpe in Tränen ausbrach, und Reverend Doult ihr, ehe er sich’s versah, einen Heiratsantrag machte. Was bedeutete, daß Reverend Doult nicht im Dienst der Kathedrale blieb, sondern eine Vikarstelle irgendwo auf dem Land erhielt.«
    »Deshalb wolltest du die Liste der Kirchenangestellten.«
    »Sehr gut, Harriet. Er schaffte den Absprung schneller als ich erwartete. Er heiratete Miss Sharpe 1891 und bekam im folgenden Jahr eine Gemeinde in Northumberland.«
    »Also war Miss Sharpe in der Nacht des vierzehnten November 1940 nicht mal in der Nähe Coventrys«, sagte Verity. »Und achtete, vollauf beschäftigt mit Gemeindebasaren und Alteisensammlungen, nicht darauf, ob eine gewisse Vase vermißt wurde.«
    »Und schrieb keinen Brief an den Herausgeber«, vollendete ich, »und jedermann nahm an, daß das Ding verbrannt war.«
    »Und Ultras Geheimnis blieb gewahrt.« Sie runzelte die Stirn. »Und alles – meine Rettung der Katze, daß wir nach Oxford gingen, um Madame Iritosky zu treffen, daß du Terence davon abhieltest, Maud zu begegnen und ihm das Geld für das Boot geliehen hast, die Seance und das alles, war Teil der Selbstkorrektur? Das ganze Theater?«
    »Das ganze Theater«, erwiderte ich und dachte dann über diese Worte nach. Wie weitgehend war die Selbstkorrektur gewesen und was hatte sie alles einbezogen? Professors Peddicks Streit mit Professor Overforce? Die Psychic Research Society? Die gespendeten Schachteln für gezuckerte Veilchen auf dem Basar? Die pelztragenden Damen bei Blackwell’s?
    »Eines ist mir nicht klar«, sagte Verity. »Wenn es einzig darum ging, Delphinium Sharpe davon abzuhalten, einen Brief an die Zeitung zu schreiben, hätte es für das Kontinuum doch unkompliziertere Wege gegeben.«
    »Es ist ein chaotisches System«, sagte ich. »Jedes Ereignis ist mit jedem anderen verknüpft. Für eine kleine Änderung bedarf es manchmal weitreichender Maßnahmen.«
    Doch wie weitreichend? überlegte ich. War die Luftwaffe beteiligt? Agatha Christie? Und das Wetter?
    »Ich weiß, daß es ein chaotisches System ist«, sagte Verity in meine Gedanken hinein. »Aber wir reden hier von einem Luftangriff. Wenn die Selbstkorrektur automatisch erfolgte, hätte eine genau placierte Bombe die Inkonsequenz rascher und direkter beseitigt als irgendwelche Pläne mit Katzen und Ausflügen nach Coventry.«
    Eine genau placierte Sprengbombe würde jede Gefahr, die Ultra von Delphinium Sharpe gedroht hatte, eliminiert haben, ohne jede Folgen. Über fünfhundert Menschen waren in jener Nacht in Coventry gestorben.
    »Vielleicht hatte Delphinium Sharpe oder eine der anderen Personen, die in jener Nacht am Westportal standen, eine andere wichtige Rolle in der Geschichte«, sagte ich und dachte dabei an den untersetzten Luftschutzwart und die Frau mit den beiden Kindern.
    »Ich rede nicht von Delphinium Sharpe«, sagte Verity. »Ich meine des Bischofs Vogeltränke. Wenn die Smithsche Kapelle direkt getroffen worden wäre, hätte Miss Sharpe geglaubt, sie sei zerstört worden, und ihren Brief nie geschrieben. Oder die Kapelle hätte getroffen werden können, bevor Lizzie Bittner erschien, und so hätte diese überhaupt keine Inkonsequenz erzeugen können.«
    Sie hatte recht. Eine einzige direkte Bombe – mehr hätte es nicht gebraucht. Wenn nicht diese vielleicht etwas anderes verändert hätte. Oder wenn des Bischofs Vogeltränke nicht vielleicht eine andere wichtige Rolle in der Geschichte spielen sollte. Oder wenn das Kontinuum nicht noch andere subtilere Gründe dafür hatte, die Korrektur eben so vorzunehmen.
    Pläne, Absichten, Gründe. Fast konnte ich Professor Overforce sagen hören: »Ich wußte es! Das alles ist nichts weiter als ein Argument für einen Großen Plan!«
    Wir konnten den Großen Plan nicht erkennen, weil wir Teil davon waren. Nur hin und wieder überkam uns ein winziges Aufflackern der Erkenntnis. Ein Großer Plan, der den gesamten Verlauf der Geschichte und Zeit und Raum umfaßte, der sich aus unerfindlichen Gründen dazu entschloß, seine Werke mit Katzen, Crocketschlägern und Federhalterwischern auszuführen – ganz zu schweigen von dem Hunde. Und einem scheußlichen victorianischen Kunstwerk. Und uns.
    »Geschichte ist Charakter«, hatte Professor Peddick gesagt. Und Charakter hatte auf jeden Fall eine Rolle in der Selbstkorrektur gespielt – Lizzie Bittners
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