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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin
Autoren: Margrit Schriber
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Zeit hat die Kleine wohl gefangen?», fragen sich die Waschfrauen in Zug. «Sind es fünf Freuden? Oder sieben?»
    «Es wäre gut, wenn sie jetzt die zehn beisammen hätte. Was bringt ihr dieser Tag denn noch an Schönem?»
    Die Waschfrauen sinken am See auf die Knie. Weil es Kraft gibt, wenn ein paar Armselige in einem solchen Moment die Wellen über den See zur Bitzenin schicken.
     
     
    Es wird Mittag. Der Nachrichter führt die Delinquentin noch immer nicht zum Galgen. Murrend kehren einige Neugierige ins Muotatal zurück.
    Gegen zwei Uhr kreuzt der zweifache Landrat auf. Es ist ein neuer Landtag anberaumt. Diese Nachricht verbreitet sich wie ein Feuer. Der Fall der Bitzenin kommt noch nicht zur Ruhe.
    «Sie wird begnadigt», meinen die einen.
    «Sie wird gevierteilt», meinen die andern. «Den Elenden reicht nur der Tod die Hand, um über den Rand ihres Bottichs zu steigen.»
    Da trottet das Reding’sche Ross mit offener Chaise über den Platz. Aus Anlass des Amüsements hat sich die Redingin ihr Gesicht rosig gepudert und trägt ein neues Kleid.
    Die Neugierigen weichen zurück. Man weiß: Es ist ihr Tag. Niemand wurde so sehr getroffen. Niemand ersehnt so sehr den Moment, da ein Strick den Hals der Bitzenin verengt.
    «Sie hat die Redingin studiert. Aufs Genaueste, wie andere Menschen eine Wissenschaft studieren. Sie hat ihr zwar die Kämme zurückgegeben, aber nur, um ihr etwas viel Wertvolleres wegzunehmen. Ihre Jugend. Ihre Frische. Ihre Amour. Wie ein Kuchenstück hat sie ihr das Glück vor dem Mund weggeschnappt. Ehe die Redingin ‹O!› sagen konnte.»
    Jene Chaisenfahrt im Kreis hat weder der Redingin noch dem Unberührbaren etwas gebracht. Er habe noch einmal am Tor des Herrenhauses geklingelt, trotz des Verbots. Gegen jede Vernunft.
    Er schulde ihr eine Erklärung, sagte er und strich über seine Feder. Es gebe ein Missverständnis. Er schätze sie. Er verehre und achte sie. Aber er sehne sich nach einer anderen. Alle diese Zeichen in seinem Buch sind hingemalt für die Kinder einer anderen.
    Die Redingin hat es begriffen. Jedes Wort.
    Die nächste Reise unternimmt er mit der anderen. Die Geheimnisse verrät er der anderen. Seine Besuche haben nie ihr gegolten, sondern der Imitation. Ihretwegen ist er durch die halbe Welt nach Schwyz gereist.
    «Er dachte die ganze Zeit über nur an sie.»
    Während sie ihre Aussteuer stickte, genoss die andere die Huldigungen, die einer Frau von ihrem Stand gebühren. Er hat sie ausgefragt, und sie hat geplappert. Bis er zum Schluss kam, dass er nicht halb Europa durchkämmen, sondern mit der Tochter des Richters Chaise fahren muss. Und auf den Winter warten. Denn kein Land füttert eine fremde Vagantin durch. Sie wird in ihre Heimat zurückbefördert, so sicher wie das Amen, samt Einforderung der Aufwendungen.
    «Er ist durch und durch ein Lump! Bon Dieu!»
    Das hat die Redingin verstanden.
    Der Unberührbare flehte die Redingin um Gnade für die Verurteilte an. Sie wies das Ansinnen zurück. In Bausch und Bogen. Sie schrie wie noch nie. Ihre Stimme überschlug sich. Man hörte sie bis zum Dorfplatz hinunter tribulieren. Ganz hysterisch wurde sie. Sie benutzte ihren Parasol als Degen und schlug ihn in die Flucht. «Ich war das Mittel zum Zweck», rief sie ihm mit erstickter Stimme hinterher. Wie er nun noch Barmherzigkeit verlangen könne!
    Pünktlich zur Eröffnung des Landtags schwingt der Unberührbare im Rathaus den Hut mit der Pfauenfeder vor seine Brust. Er begehre die Anna Maria Inderbitzin zu ehelichen.
    «Ich nehme sie ungesehen. Vom Fleck weg!»
    Und dann tischt dieser Mensch dem Gericht eine Geschichte auf. Schon sein Vater habe die Mutter vom Galgen weg geheiratet. Die Ehe sei sehr glücklich gewesen. Er wolle seinem Beispiel folgen.
    Der Landtag bricht in Gelächter aus.
    Er aber insistiert. «Nach altem Recht kann ein Todesurteil aufgehoben werden, so eine Besserung in Aussicht steht.» Er zeigt auf die Bücher. Nennt den Paragraphen. Erinnert an die Kosten für die Vollstreckung des Todesurteils. Auslagen für den Nachrichter, für die Wache am Galgen, für den Schreiber und das Ausheben einer Grube. Das hohe Gericht solle außerdem die Scherereien bedenken, die es sich erspare. Als Ehemann übernimmt er die Verantwortung.
    «Für immer und ewig. Ihr werdet nie mehr von der Bitzenin hören! Ich schwöre es bei Gott! Lasst sie frei. Lasst sie mir.»
    Die Herren des Landtags lassen sich alle Rechtsschriften in den Gerichtssaal bringen. Sie lesen den
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