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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin
Autoren: Margrit Schriber
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fragen mit dieser Chaise herumfahre. Nach Meinung Sebels würde Joseph Anton Reding lieber heute als morgen dem Roman mit dem Unbekannten einen Schlusspunkt setzen.
    Man trinkt mit Sebel Bränts. «Es leuchtet ein, Sebel. Prost! Wenn man es sich recht überlegt. Dieser Mensch zeichnet sich durch nichts aus als durch eine Pfauenfeder am Hut. Warum eigentlich hat er nach der Bitzenin gefragt? Was interessiert einen Träger der Zweiäugigen Feder Chinas eine hiesige armselige Gestrichene?»
     
     
    Früh ziehen die Vögel aus dem Land. Auf den Bergkuppen fällt der erste Schnee. Die Scheiter werden nun korbweise verbrannt, damit das Fräulein Reding die Sticknadel für die letzten Zierstiche führen und ihre Zukunft zu Ende sticheln kann.
    Am frühen Morgen, da die ersten großen nassen Flocken in den Hof stürzen, beißt die Redingin das Stickgarn ab. Die Aussteuer ist fertig. Sie legt die Hände ineinander. In diesem Augenblick klingelt der Glockenstrang. Ein Kurier der Jesuiten überbringt einen Brief.
    Sie lehnt sich seufzend zurück und wartet, dass der Herr Papa sie holt und erklärt, der Hochzeit stehe nun nichts mehr im Weg. «Nimm den Chinareisenden und werde glücklich!»
    Sie fährt aus dem Sessel, weil Türen schlagen. Oberst Redings Gebrüll erschüttert das Gemäuer.
    Der Bericht der Recherchen ist niederschmetternd. Der Mann ist ein Lump und kein Entdecker. Er hat weder Märkte erschlossen noch ein Gerät erfunden oder ein Bauwerk errichtet. Er ist in der Weltgeschichte nicht einmal eine Randnotiz. Vielmehr ein Abenteurer, ein Vagant. Ein Niemand und Nichts. Wer weiß, wie er in den Besitz der zweiäugigen Feder gekommen ist. Womöglich hat er sich Verdienste in China erschlichen. Zwar spricht er fremde Sprachen, versteht die Schrift und scheint auch sonst viel zu wissen. Außerdem ist er nicht unvermögend. Doch seine Herkunft ist unehrlich und bleibt unehrlich. Sein Name ist Magnus Weber, Sohn eines Rothgärbers von Molitz aus der Heiligen Römischen Reichsstadt Wangen. Der Vater ist durch den Verkauf von Rohstoffen, durch Leimkochen und die Herstellung von Heilmitteln zu etwas Geld gekommen.
    Reding greift nach der Reitgerte und tobt durch alle Zimmer auf der Suche nach seiner Tochter. An den Haaren zieht er ihren Kopf aufs Dokument der Jesuiten hinab. Der Mann, den sie begehrt, ist ein Unberührbarer.
    Zum ersten Mal erhebt er die Reitgerte gegen eins seiner Kinder.
    Landjäger fangen den Chinareisenden auf dem Weg zum Herrenhaus ab. Sie bringen ihn aufs Rathaus. Klagen über ein Verbrechen liegen keine vor. Nach einem Verhör wird er entlassen – der Unberührbare ist frei zu gehen. Er darf drei Jahre lang als Geselle oder Knecht im Land Schwyz sein Handwerk ausüben. Allerdings ist er der Macula infamiae unterstellt: Er muss außerhalb des Dorfes wohnen, darf keinen Kontakt zu den Leuten haben, vor allem aber muss er den Grund und Boden des Herrenhauses meiden. Er darf das Fräulein Reding in keiner Art und Weise kontaktieren. Ihre Wege dürfen sich nie mehr kreuzen.
    Im Herrenhaus verkehren mancherlei Menschen. Gelehrte, Staatsoberhäupter, Intriganten, Schöngeister, Gesandte, Haudegen, Grobiane und Schlächter. Aber noch nie hat ein Unberührbarer den Fuß über die Schwelle gesetzt.
    Reding lässt das Herrenhaus vom Estrich bis zum Keller reinigen. Jedes einzelne der zahllosen Zimmer, die Vorhänge, die Ritzen zwischen den Dielenbrettern, die Ölfarbe und die Goldrahmen der Vorfahren. Danach misten die Knechte die Ställe aus und verputzen das Holzwerk mit frischem Kalk. Die Polsterung der Chaise wird ausgewechselt, die Verschraubungen, das Leder und die Räder werden gewaschen. Den Garten durchkämmen fünf Mägde, sie gießen das Gras, überschütten den Buchs und bestreuen die Wege mit frischem Kies.
    «Sie drehen da jetzt jeden Stein», erzählt Sebel. «Überall steht man im Weg. Der Unberührbare hat alles verseucht.»
    Aus Einsiedeln kommen zwei Pater zum Einsegnen des gereinigten Hauses. Sie wandern mit Weihwasser durch alle Zimmer, dann durch den Garten und die Stallungen. Mit ihrem Wedel sprühen sie auch die Pferde in den Verschlägen und die Chaise an.
    Joseph Anton Reding wandert von Fenster zu Fenster. Er liest keine Depeschen, empfängt keine Besucher und wünscht, allein zu speisen. Einige Tage lang gönnt er seiner Tochter kein Wort. Sie muss in ihren Zimmern bleiben.
    Die Redingin höre nicht auf, an die Tür zu poltern, zu weinen und zu wimmern. Sebel muss sie bei der
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