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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin
Autoren: Margrit Schriber
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mit Püffen zu einem Holzkarren am Wegrand bugsiert. Das Gefährt aus Schwyz erwartet schon die Fracht. Sie wird mit Seilen verschnürt und in den Käfig auf Rädern geworfen, der Hut baumelt am Gummiband. Gemächlich zündet sich der Kutscher eine Pfeife an, pafft ein paar Züge, speit Saft zur Seite, klemmt sich die Pfeife zwischen die Zähne und gibt dem Ross einen Zwick mit seiner Peitsche. Der Käfig mit der Bitzenin rumpelt fort.
    Sie zwängt den Kopf durch die Speichen und schaut auf Versailles zurück, auf diese Essenz aller Herrlichkeiten auf Erden.
    Der Sieur von Montlau drückt sein Cayer der Missstände an die Brust und lässt die Chaise wenden. Mit gezogenen Vorhängen jagt sie durch die Wälder des Poitou in den Südwesten zurück.
    Auf dem ganzen Weg ist seine Frau damit beschäftigt, sich abwechselnd zu bekreuzigen, zu plärren und zu bekreuzigen.
    «Eh alors! Paff!»
    Ein Briefwechsel beginnt zwischen der Seigneurie von Montlau und der Baronie von Merveys.
    «Was hätte ich vor dem Thron noch ausrichten können? Verehrter Herr Baron, ich bin zum Gespött geworden. Man hat einen Hanswurst aus mir gemacht. Es schien mir, das Gelächter des Königs und seiner Devoten halle mir aus der weißgoldenen Pracht hinterher. Man schüttete sich aus vor Lachen über diesen Provinzler, der auszog, um in seiner Patrie aufzuräumen, und der nach wenigen Tagen in sein Château zurückkehrte, besiegt, noch bevor er sein Anliegen vortragen konnte, entehrt, noch bevor er die Kutsche verließ.»
    Diese Schmach lastet der Sieur von Montlau der Eidgenossin an. Vor allem aber lastet er ihr an, dass in Frankreich alle Missstände weiter bestehen.
     
     
    Schnee fällt in Luzern, als der Schandkarren durchs Stadttor zieht. Der Kutscher treibt mit finsterem Gesicht und hochgeschlagenem Mantelkragen das Ross durch den Markt. Die Piachen der Stände hängen durch. Ihre Last wird mit Stöcken hochgedrückt und vor dem Karren aufs Pflaster geschüttet. Die Händlerinnen hüllen sich in Decken.
    Nichts hat sich verändert. Wo ist dieser Sommer geblieben?
    Der dahinziehende Nauen zerbricht die Schieferfläche des Sees. Auch in Schwyz ist alles wie im Jahr zuvor. Neugierige starren auf den Karren, der mit der Delinquentin heranrumpelt.
    «Sie ist wieder da!»
    «Wie sie gewandet ist!»
    «Niemand schwingt sich übers Dach seines Tätschhauses hinaus. Es gibt die von alters her gültigen Bräuche. Unsere von Generation zu Generation überlieferten Gesetze. Wir können nicht missachten, was Gott uns gegeben und auferlegt. Entweder es passt ein Mensch zu uns oder er passt nicht, dann hat er hier nichts zu suchen. Im Turm ist die Streunerin am richtigen Patz.»
    Der Unberührbare hält sich noch immer in Schwyz auf. Am Dorfrand, wie es ihm gestattet ist. Zuweilen steigt er gegen den Berg auf, um den Schiffsverkehr zu beobachten und die Fuhrwerke auf dem Weg nach Schwyz. Das Herrenhaus streift er mit keinem Blick.
    Er warte, sagt man im Dorf, bis die Zeit sich erfüllt.
    Die Tage sind kurz, die Berge verhängt vom Nebel. Der Atem steht vor dem Mund, die gefrorenen Pfützen klirren, wenn er hineintritt. Selbst die Pfauenfeder erstarrt vor Kälte, und ihre Augen wippen nicht mehr im Takt seiner Schritte. Sie senken sich unter der Last der Feuchtigkeit bis auf seine Schulter.
    Er bewegt sich mit langen, gleichmäßigen und bedächtigen Schritten, den Kopf gesenkt, die Hände unter dem Mantel. Er gehe in Gedanken, heißt es. Als schreite er eine endlose Kette von Gedanken ab. Nie spricht er jemanden an. Man sieht ihn auch nie in Begleitung. Er weicht den Bewohnern aus. Aber ihre Augen folgen ihm.
    Es wird bemerkt, dass er plötzlich stillsteht. Es ist Nachmittag, und mitten auf dem Weg hält er ein, als sei ihm eben etwas Wichtiges eingefallen, das ihn am Weiterschreiten hindert. Er hebt den Kopf und lauscht.
    «Was gibt’s denn da zu hören?»
    Wir wundern uns. Nichts Außergewöhnliches – das Rauschen der Muota, das Ächzen der Bäume, ein Stein, der in die Schlucht poltert, die Räder eines ungeölten Karrens. Von irgendwoher kommt der Singsang eines Kinds. Der Fremde lauscht, als höre er aus unseren alltäglichen Geräuschen einen Klang heraus, den kein Einheimischer je vernahm. Er fängt an zu klettern, kehrt zurück, geht nach links und nach rechts. Folgt irgendeinem Klang, der ihn narrt.
    Wir schauen zu. Es dauert eine Zeit, bis wir begreifen, dass es der Singsang sein muss, der ihn lockt. Der Biswind verweht die Töne, so dass
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