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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin
Autoren: Margrit Schriber
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eines Bossert.
    «Und heute?» Er klopft dem Mädchen auf den Rücken und schaut in die Runde. «Welcher Anblick bietet sich dem Landrat von Schwyz? Ein Bild von einer Jungfer! Gerade gewachsen, strotzend vor Gesundheit, wohlgenährt, mit einem Fuder Brüsten im Mieder, einer von Schnüren gebändigten Fülle von Haar und ledernen Schuhen wie Schiffe unter den kräftigen Beinen.»
    Anna Maria. Die hier steht. Joannes Bosserts Werk.
    «Wie hat sie’s gedankt?» Er verschränkt die Arme und schaut jedem einzelnen Rat in die Augen. Er nickt. «Mit einem Griff in den Kasten. Sieben Gulden, Ihr gnädigen Herren. Die muss ein braver Bürger erst einmal verdienen! Und warum hat sie es getan? Weil sie fliehen wollte – meinetwegen, wie sie behauptet? Die Jungfer legt sich Dinge im Kopf zurecht. Und lügt das Blaue vom Himmel.»
    Noch am selben Tag spricht das Gericht Recht über die Klage des ehrbaren Vormunds aus Zug. Anna Maria Inderbitzin hat Gutes mit Bösem vergolten. Dafür werde sie bestraft, nach altem Recht.
    Der Bettelvogt wird hereingerufen. Er dreht das Mädchen zu sich, öffnet die Schnüre des Mieders und lockert die Leinenbluse. Dann schwenkt er es wieder zu den Räten. Landammann Reding neigt sich zum Schreiber, um sich nach dem leiblichen Vater zu erkundigen. Er sei im Villmergerkrieg gefallen, wird mitgeteilt. Für die Sache der Katholiken.
    «Oha!», meint Reding. «Ein Held. Einer von meinen Leuten.»
    Er lässt seine Tabatière auf der Kante kreisen. Sie schwirrt um ihre Achse, angestoßen von seinem Finger. Als Anna Maria bis zu den Hüften entkleidet vor seinem Richtertisch steht, stockt die Tabatière. Der Bettelvogt lässt den Munifisel über dem Amtstisch kreisen, gibt ihm einen Zwick und noch einen. Und dann klatscht die Peitsche mit einem Knall auf den Rücken des Mädchens. Es wankt und sinkt in die Knie. Ein hundert Jahre altes Kind.
    Unter dem Geknall des Bettelvogts sei selbst der Landrat erchlüpft.
    Die Tabatière schlittert zum Rand des Tischs. «Schlagen bis aufs Blut», so lautet das Urteil. Das Mädchen winselt unter jedem Hieb. Aber es lässt kein Auge vom Richter und von seiner Tabatière.
    Joseph Anton Reding ist der mächtigste Mann des Landes Schwyz. Er rüstet Könige, Kaiser und den Papst mit Fußtruppen aus, die als schlagkräftig, unerschrocken, unüberwindbar gelten, dabei aber gutmütig und anspruchslos sind. Schon Redings Vorfahren haben mit diesen Fußtruppen äußerst erstaunliche Siege errungen und die schwere Reiterei entmachtet. Er ist ein Mann mit so vielen Titeln, dass ein Gewöhnlicher sie nicht alle aufzählen kann: Oberst in Savoyen, Fähnrich und Vorsprecher im Neuner-Gericht, Landvogt in Sargans, Landessäckelmeister, Landammann, Ritter des St.-Michaelis-Ordens. Als Besitzer der Grafschaft Merveys im Languedoc führt er den Titel eines Barons. Er bezieht eine Pension von sechstausend Pfund aus Frankreich. Nach Meinung der Männer von Schwyz verwandelt sich in seiner Hand Dreck zu Gold. Seine Söhne sind für die Militärlaufbahn bestimmt, auf die Töchter wartet eine Heirat im Adel oder der Eintritt in ein Kloster, das sie führen werden. Alle sprechen Französisch und verstehen Latein. Jede hat eine eigene Zofe. Das helle große Haus mit den überdachten Fensterreihen und den Dachaufbauten thront über dem Talbecken von Schwyz, höher als die Kirche. Es wird von zwei Türmen überragt. Auf ihren Kupferkuppeln stecken Spieße mit großen goldenen Kugeln, und auf der Spitze weht die Wetterfahne der Reding. Stallungen und Unterkunftsräume für Söldner umschließen den Hof. In seinem Haus erledigt Reding Amtsgeschäfte und empfängt Gesandte aus allen Ländern Europas. Am Gerichtstag steigt er den gepflasterten Weg zur Kanzlei hinab und spricht Recht über die Delinquenten im Lande Schwyz.
     
     
    Es sei, heißt es in den Akten, der Bitzener ihre erste oberkeitliche Correction. Bei einem Rückfall wird die alte Tat zur neuen gezählt und mit noch größerer Härte bestraft.
    Anna Maria wird zur Besserung entlassen.
    Siebzehn Jahre alt. Waise, Mündel und Diebin.
    Sie darf nicht mehr nach Zug. Nicht einmal zum Besuch der Waschfrauen. Es wird ihr erlaubt, sich in Schwyz aufzuhalten. Sie kann auch ins Muotatal zurück. In der Hoffnung, dass sie sich dort wohl verhält. Immerhin ist sie eine aus dem Tal, wurde dort geboren und hat noch ehrbare Verwandte. Einige Wochen lang muss sie fleißig zur Beichte, in die Kinderlehre, und am Sonntag hat sie sich zum Hochamt in
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