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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin
Autoren: Margrit Schriber
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Land des Papstes. Mit tänzerischer Leichtigkeit wandert die Wäscherin von Joannes, Stunde um Stunde. Ihr Weg führt von den terrassierten Weinbergen in die Ebene, an Gehöften vorbei und tief in ihren Anwesen gelegenen Herrschaftshäusern. Zypressen säumen den Weg wie Kerzen einen Altar.
    Die Gegend erscheint ihr als das gelobte Land. Die Wege sind eben, Aprikosen leuchten an den Bäumen, Kamelien blühen, Oleander, Flieder und Rosen. Frauen sitzen häkelnd auf den Treppen ihrer Häuser. Sie rennen nicht nach der Wäschehänge, weil es keine plötzlich hinter einem Gebirge hervorbrechenden Gewitter gibt. Die Wolken schaukeln wie Bausche durch die endlose Bläue. Anna Maria wandelt auf diesem Altar in den blauen Hauch der Ferne.
    Eine einzige Freude.
     
     
    Die Waschfrau klatscht ein Hemd von Joannes auf den Stein. Wellen überrinnen die Ufersteine und lecken ihre Knie.
    «Die Bitzenin erlebt mehr an einem Tag als wir in einem langen Leben.»
    Die neben ihr kniet, sagt: «Vielleicht. Wer kann es wissen. Es ist überall Krieg. Überall Hunger. Überall schinden Frauen sich für einen Bissen Brot. Überall Männer wie Joannes.»
    «Anna Maria findet einen Schatz», sagt die Erste und wirbelt das nasse Hemd im Kreis durch die Luft. «Zum Liebhaben geboren, die Kleine. Es gibt andere als Joannes. Auch auf ihrem Weg. Es wird den Einen geben. Sie begegnet ihm. Er erblickt die Dahertänzelnde von weitem. Er lässt sich vom Baum fallen, ihr vor die Füße. Wie eine reife Frucht. Und dann marschiert das Paar seines Wegs. Und linksrechts Blumen, wie aufgestickt. Wie am Saum von Joannes’ Tischtüchern.»
    «Sie sind zertrampelt», meint eine der Waschfrauen. «Es herrscht doch Krieg dort.» Sie senkt ihr Ohr aufs Wasser. «Ich höre das Gellen von Metall.» Alle Waschfrauen legen ein Ohr an die Wasserfläche. Auch sie vernehmen den Klang von Metall. Läuten Glocken? Dengeln Bauern ihre Sensen? Fährt ein Blitz in ihren Rücken?
    Es ist die beschlagene Spitze des Stocks von Joannes. Mit einem Schrei stürzen sie, eine nach der anderen, samt Wäschestück zum Gelächter von Joannes in den eisigen See.
    Sie ist einem begegnet. Der freundlich ist. Der ihr nicht ans Ranzli will. Sie lässt zu, dass er sie begleitet. An der Unterseite seiner Hutkrempe hängt eine Pfauenfeder, die hat zwei Augen. Sie rollen und schielen und wippen beim Gehen um seine Schulter. Während ihres Gesprächs muss Anna Maria immer wieder vorrennen und auf Zehenspitzen rückwärts balancieren, um das Augenspiel der Feder anzusehen. Danach geht sie wieder an seiner Seite und hüpft in den Gleichschritt mit ihm.
    In der Ferne entdeckt sie ein Glitzern.
    «Katzengold», meint ihr Begleiter.
    «Die Kuppeln vom Haus Gottes», meint Anna Maria. «Ich höre Gesang.»
    Er hört Gebrüll.
    Sie reißt sich los und schreitet aus. Sie möchte rechtzeitig zum Halleluja beim Papst ankommen.
    Ihr Begleiter lässt sich ans Wiesenbord fallen. Er bleibe. Wenn sie jetzt gehe, käme sie zum Haaruus gerade recht.
    «Wirst nie wieder Halleluja jubilieren, Mädchen!»
    Die Bitzenin aber rückt aus und rennt, das hin und her hüpfende Ranzli auf dem Rücken. Als sie den Ort des Glitzerns findet, ist der Klang erstorben, der Boden mit Blut getränkt. Plünderer verlassen das Schlachtfeld mit den letzten Beutestücken.
    Die Kleider der Gefallenen sind aufgerissen, ihre wächsernen Hälse entblößt und die Ringe samt den Fingern von den Händen abgetrennt. Auch das Schuhwerk haben die Plünderer den Toten von den Füßen gerissen. Die Bitzenin findet nicht einmal einen Ziegenbeutel voll Wasser oder einen Zinken Brot.
    Nur einige händeringende Frauen steigen noch schluchzend über die Toten und drehen den einen und anderen um. Dann verfallen sie in ein klagendes, endloses Gewimmer.
    Sie setzt sich auf den Schenkel eines gefallenen Schiachtrosses. Die Vögel kehren zurück. Sie sieht, wie die Wolke des Schwarms einen Augenblick in der Luft schwebt, ehe sich Sprenkel daraus lösen und aufs Schlachtfeld stürzen. Mit ausgebreiteten Flügeln lassen die Vögel sich auf einer Leiche nieder.
    Sie muss an ihren Vater denken. Wie er losgeschickt wurde, um mit den Innerschweizern gegen die reformierten Kantone Bern und Zürich zu kämpfen.
    «Gott gegen den Teufel», hatte einer der Soldaten zu ihm gesagt.
    Der Vater wetzte seine Sense weiter, ohne aufzuschauen. Als die Klinge scharf war, hob er die Sense auf die Schulter und antwortete: «Deren Händel ist nicht der meinige.» Grußlos
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