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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin
Autoren: Margrit Schriber
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der Gesang einmal von weit oben zu kommen scheint, einmal aus der Tiefe. Dann wieder erklingt er gedämpft, als singe jemand hinter einem Gemäuer.
    Er schaut in jede Felsspalte. Schließlich setzt er sich auf einen Baumstrunk. Als der Wind gegen Abend dreht, schwebt der Gesang über dem Talkessel von Schwyz. Wir sehen den Unberührbaren zum Dorf hinunter hasten.
    Dieser Mensch ist nicht zu begreifen. Das Lied hat keine Höhen und Tiefen, die Melodie, falls man sie überhaupt so nennen kann, ist freudlos, zerstückelt vom Wind und verrieselt im Nichts.
    «Der Unberührbare ist verrückt geworden», berichte der Knecht der Redingin.
    « Meinetwegen?»
    Zum ersten Mal seit langem habe die Herrentochter ein wenig gelächelt.
     
     
    Die rechtliche Klage vor zweifachem Landrat ist angesagt. Es wird zur Verantwortung gezogen: Anna Maria Inderbitzin.
    Sie rauscht in den Gerichtssaal mit einem Garten auf dem Kopf, passend zur Schlossanlage des Königs. Sie kreiselt mit den Röcken um die Schuhe. Wie eine Dame von Rang.
    Vor einem Jahr wurde sie zum zweiten Mal verurteilt. Ob sie sich erinnere.
    Ihr Rücken vergisst nichts.
    Ihre damaligen hochheiligen Versprechen? Asche für den Wind! Statt sich wohl zu verhalten in unserem Land, hat sie den Schwur gebrochen. Der Schreiber notiert, sie habe sich aus unserem Land hinwäg gemacht, bald in catholischen, bald lutherischen Orten aufgehalten, sich für eine Redingin von Schwyz ausgegeben, einige Diebstähle und Betrügereien verübt. Jetzt ist sie neunzehn Jahre alt. Und ein Pfau.
    Sie wird befragt.
    Wer sei sie? Sei was?
    Sie antwortet im Tonfall des hohen Fräuleins, näselnd und welsche Wörter einstreuend. Sie imitiert ihre Haltung, das durchgestreckte Kreuz, das Kreisen ihres Halses, der dem Stengel einer Tulpe gleicht, das Spielen mit einem Fazolet und einem Beutelchen.
    Sie sei die Tochter einer hochangesehenen Familie. Auf dem Weg zum König. In ihrer Begleitung der ehrenwerte Connétable von Montlau, ein Mitglied des Parlaments. Sie genießt sein volles Vertrauen. Bis auf den heutigen Tag.
    Sie schaukelt ihre Röcke. Und erzählt von dem Umgangston in Montlau. Dem Cayer. Den Noblen jener Gegend. Dass sie die Diplomatie in die Provinz gebracht habe und des Sieurs gelehrigste Schülerin ist.
    Sie wischt sich ein Staubkorn vom Plastron. Sie sagt: «Das Leben ist mein Handwerk und meine Kunst!»
    Raunen und Gelächter bricht aus im Saal.
    Eines Niemands Tochter, das sei sie. Die Wäscherin von Joannes Bossert aus Zug.
    «Bon Dieu!» Sie setzt sich den Hut richtig aufs Haar und spitzt ihren Mund. «Ich bin jemand.»
    «Eine Streunerin, ja.» Die ein paar welsche Brocken spuckt und welschen Putz trägt. Man kennt in Schwyz diese Sorte von Frauen. Die sich blenden lassen vom leichten Sinn der Franzosen und deren Manieren annehmen. Das Schwadronieren und Hofieren, das Lustwandeln, Kokettieren und Brillieren. Sie führen ein Leben im Untergang. Kurz: Sie sei nichts!
    Sie schüttelt den Garten auf ihrem Hut und bleibt dabei, jemand zu sein.
    Die Bitzenin soll die Affenpossen lassen. Ihre Vita liegt auf dem Amtstisch. Ein kurzes wüstes Leben, vor dem einem Christenmenschen grause.
    Der Schreiber liest ihr das amtliche Gekritzel vor. Hernach redet der Richter ihr gütlich zu, sie solle zur Räson kommen. Der Nachrichter zeigt auf die Folter. «Das Stüölin dort!» Delinquentin hat Redings Tochter viel Verdruss gemacht. Auch den König von Frankreich beleidigt, indem sie bei braven Bürgern in Saus und Braus gelebt, und mit ihren Ausschweifungen und erschrecklichen Lastern viel Schaden angerichtet.
    Delinquentin gibt angesichts des Stüölins alles zu. Sie hat sich dieser Verbrechen schuldig gemacht.
    Es wird Neues und Altes zusammengenommen, nach altem Brauch. Da keine Correction mehr möglich, das Todesurteil für die Bitzenin Genannte gefällt. Sie wird in die Hand des Nachrichters gegeben.
    «Gott sei ihrer armen Seele gnädig!»
    Gefasst nahm sie das Todesurteil hin. Reglos, beinahe stumpf. Wie sie jedes Urteil, jeden Schlag, jeden Befehl hingenommen hat.
    Sie ordnet ihre Erscheinung à la grande dame, richtet das Hütchen schräg auf dem Kopf aus, zieht die Handschuhe straff. Dann wendet sie sich ab von diesem Gericht und schlittert zum Munifiselgesäusel des Nachrichters mit ihren Stickschühchen durch den Schneematsch zum Turm. Hinter ihr fällt die schwere Tür ins Schloss.
     
     
    Das Urteil wird von den Leuten begrüßt.
    «Es gibt eine Ordnung und ein Recht, eine
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