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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex
Autoren: Jo Clayton
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Mangel an Reaktion auf ihr Kommen ärgerte sie (die Sonden selbst arbeiteten automatisch und konnten kaum als Reaktion bezeichnet werden), und so blieb sie in der Mitte des Raumes stehen und rief: „Kenton Esgard!”
    „Er ist nicht hier.”
    Aleytys fuhr herum. „Was?”
    Eine junge Frau stand in einer plötzlich aufgetauchten Türöffnung. Feines, helles Haar umfloß ein längliches, schmales Gesicht; blau gefärbte Lider senkten sich über nahezu farblose graublaue Augen, als Aleytys sie ansah. Sie kam näher; der linke Fuß wurde kaum merklich nachgezogen. Der linke Arm war dünner und sehniger und steifer als der rechte. Weder offensichtlich noch abstoßend unterstrich diese kleine Behinderung den Anschein von Zerbrechlichkeit, der sie umgab. Sie ging an einen Tisch, der schräg zur Wand im Raum plaziert war, in einer Ecknische, die der Tür, durch die sie gekommen war, am nächsten war. Dahinter stand ein Sessel. Sie ließ sich darin nieder und nahm mit ihren dünnen, blassen Fingern einen Block auf.
    Für einen langen Augenblick starrte sie das weiße Rechteck an, und dann blickte sie unvermittelt auf, vorbei an der Flut aschblonder Haare, und starrte Aleytys für die Dauer eines halben Herzschlags direkt an, die eisfarbenen Augen weit geöffnet. Im nächsten Moment hatte sich der Blick bereits wieder verlagert, auf den Block hinab, den sie hielt. „Nennen Sie mir den Grund Ihres Besuchs? - Warum wollten Sie Kenton Esgard sprechen?”
    Ihre Stimme war so sanft, daß sich Aleytys anstrengen mußte, sie überhaupt zu hören.
    Aleytys löste den Schleier; die graue Seide wogte in sanften Falten neben ihrem Gesicht. Hindurchzusprechen bereitete ihr Unbehagen. „Es ist nur für seine Ohren bestimmt”, sagte sie. „Wenn er momentan nicht hier ist - wann kommt er zurück?”
    Ein tastender, heimlicher Blick aus blassen Augen, genau wie vorher. Die Haut der jungen Frau war seidig, ihr Gesicht fein geschnitten, mit hoch angesetzten Wangenknochen, schmaler, gerader Nase, breitem Mund und dünnen Lippen. Ihre Zungenspitze berührte die vage Kerbung in ihrer Oberlippe, ein Aufflakkern aus hellem Rosa, das jedoch schnell wieder erlosch. „Sie wissen es nicht, Despina?”
    „Was?”
    „Esgard hat sich Anfang dieses Jahres zur Ruhe gesetzt. Vor sechs Monaten. Ich bin Hana Esgard, seine Tochter.”
    Aleytys rieb sich die Nase. „Es ist eine sehr alte Sache”, murmelte sie langsam. „Eine Information, die er aufbewahren sollte, bis ich komme, um sie abzuholen.”
    Hana Esgards Finger zogen sich kurz um den Block herum zusammen, dann legte sie ihn langsam, bedächtig auf den Tisch zurück. „Wenn Sie sich noch ein wenig deutlicher erklären könnten…?”
    Aleytys betrachtete das verschlossene Gesicht, verärgert von der Unfähigkeit, all das, was sie spürte, beurteilen zu können. Sie wußte ganz einfach zu wenig über diese Frau. Hinter der bleichen Maske brodelten Ärger, Wachsamkeit, Ablehnung und verschlagene Erregung - dies alles viel zu übertrieben, wenn man die momentanen Umstände berücksichtigte. Sie verstand nicht, warum dies so war - und das warnte sie doppelt davor, Esgards Tochter zu vertrauen… Aber andererseits, was für eine Wahl hatte sie schon?
    „Mein Name ist Aleytys”, sagte sie; und bemerkte das Zucken der langgliedrigen Finger, das schwächere Zucken in den Mundwinkeln. Kennt sie mich - oder weiß sie etwas von der Nachricht meiner Mutter? Aleytys kaute auf ihrer Lippe. Es war nicht festzustellen. Hana schob Aleytys den Block zu, griff unter die Tischplatte und fügte einen schlanken, schwarzen Stift hinzu. „Wenn Sie ein paar Einzelheiten über diese Angelegenheit niederschreiben würden, Despin’ Aleytys.”
    Aleytys nahm den Stift, tupfte mit dessen Ende gegen ihre Wange und beugte sich dann über den Block. Sie hatte starke Vorbehalte gegen diese Art von Handel, aber andererseits: Wenn sie eine Antwort bekommen wollte, dann mußte auch sie mitteilsamer sein. Sie schüttelte die Unsicherheit ab und begann zu schreiben.
    Kenton Esgard:
    Vor etwa dreißig Standardjahren hat eine Frau eine Nachricht für ihre Tochter bei Ihnen hinterlegt. Ich bin diese Tochter, und ich bin gekommen, um die Nachricht meiner Mutter von Ihnen zu fordern.
    Aleytys,
    Jaydugar und Wolff
    Aleytys riß die beiden oberen Blätter ab, las, was sie geschrieben hatte, und überlegte, ob es zuviel oder zuwenig war. Sie zuckte abermals mit den Schultern, zerknüllte das zweite Blatt und reichte das verbleibende
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