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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex
Autoren: Jo Clayton
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Rücksicht zu nehmen auf die Gefühle oder Unannehmlichkeiten anderer. Esgard würde sie hier heraufbringen, dessen war ich mir sicher, und so sah ich mich nach einem Versteck um; ich wollte beobachten, was hier vor sich gehen würde. Den Bäumen im Turmgarten waren die Wachstumsspitzen gekappt worden, daher ging ihr Wuchs in die Breite, nicht mehr in die Höhe, und so sahen sie mehr wie hohe Büsche denn wie echte Bäume aus; dennoch waren sie groß genug, jeder einzelne, um ein lächerlich kleines achtjähriges Mädchen aufzunehmen. Ich suchte mir einen alten Chanda aus, jenen Baum, welcher dem Mobiliar - drei um einen Säulentisch gruppierte Sessel - am nächsten emporragte. Die Rinde des Chanda war glatt und hart, mit kleinen, sich ausbreitenden Rissen und Rinnsalen aus verhärtetem Saft, dunkel wie schwarzes Glas, und mit einem süß-sauren Geruch und einem ebensolchen Geschmack. Dicht unter der flachen, breiten Krone kauerte ich mich nieder, meine Wange an der Rinde, die Blicke auf Lücken in dem spitzenartigen Laub gerichtet; dahinter konnte ich die Sessel und den Tisch sowie ein wenig von der Umgebung sehen.
    Er führte sie in den Garten, ganz so, wie ich es vermutet hatte.
    Sie sah aus wie die anderen Vryhh, nicht älter, nicht jünger, ein unbestimmtes Alter irgendwo zwischen neunzehn und dreißig. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie alt sie wirklich war. Ich habe sie früher schon einmal gesehen, dachte ich, obwohl ich mir dessen nicht sicher sein konnte - sie sahen sich alle ähnlich; würde man den Männern Frauenkleider anziehen, sie wären reizend genug, um für Frauen gehalten zu werden. Sie hatte jene dünne, blasse Haut, die so leicht vor Zorn oder Lust errötete, die hellgrünen Augen, das rote Haar. An jenem Abend trug sie die Haare straff geflochten und streng um den Kopf gewunden. Sie wirkte angespannt, vom Scheitel bis zur Sohle, als tue sie etwas gegen ihre Neigung, getrieben von einem Bedürfnis, das sie nicht eingestehen wollte. Esgard hatte seine Händlermiene aufgesetzt, so daß es in seinem Gesicht nicht viel zu sehen gab, doch ich spürte, daß er müde war. Die Vryhh-Frau wußte das nicht, oder es war ihr gleichgültig. Esgard bedeutete ihr, Platz zu nehmen, und sie ließ sich in einem der Sessel nieder - nur um gleich darauf wieder hochzufahren und unruhig hin und her zu gehen. Sooft sie an den gewölbten Fenstern vorbeikam, blickte sie in den Sturm hinaus, der sich über der Enklave brach; sooft sie an Pflanzen vorbeikam, berührte sie sie. Sie war direkt unter mir, und ich hätte auf sie hinabspucken können und dachte auch tatsächlich daran, dies zu tun, doch ich wußte, Esgard würde zornig werden und mich bestrafen, so tat ich es nicht.
    Hinter Esgard blieb sie stehen und strich über seinen grauen Haarschopf: eine schnelle, fast zärtliche Geste. „Du mußt mir einen Gefallen tun, Ken-ti”, sagte sie. Ihre Fingerspitzen huschten über seinen Hinterkopf, glitten nach vorn, zu seinem Gesicht. Ihre kratzbürstige Angespanntheit war plötzlich verschwunden; jetzt wirkte sie so sanft wie eine soeben erblühte Seidenblume und- oh, vielversprechend. Ja, das war es, ihre Haltung versprach Dinge, die eine Achtjährige nicht verstand und nicht verstehen wollte.
    Ein loderndes Brennen war in mir. Ich wollte mein Versteck im Baum verlassen, wollte mich auf sie stürzen, doch in meiner Hüfte pochte der Schmerz, und ich wußte, ich würde höchstens auf mein Gesicht fallen und mich zum Narren machen, und so blieb ich, wo ich war.
    Esgard ergriff ihre Hand, küßte die Innenfläche und zog sie dann von sich weg. Er kicherte, und ich war beruhigt. Er ließ sich nicht von ihr hereinlegen. „Gefallen, Shareem?” sagte er.
    Oben in meinem Baum kochte ich vor Empörung. Er benutzte ihren Eigennamen ohne jede Ehrbezeichnung, und da war ein Necken in seiner Stimme, das von anderen Vertrautheiten kündete.
    Sie löste sich von ihm, und die Nervosität kroch in sie zurück und verbannte die Sanftheit; sie ging zu den Fenstern hinüber. Es blitzte nicht mehr, und der Regen kam in Strömen herunter, ergoß sich über die Kraftfelder und verwandelte die Enklave trotz aller Anstrengungen der Straßenlaternen in pure Dunkelheit und das Fensterglas in Obsidian-Spiegel. In diesen Spiegeln wirkte sie verlegen und unsicher, fast schien es, als fühle sie sich unbehaglich.
    Die Finger ihrer linken Hand schlugen einen gereizten Rhythmus auf das Glas. „Ich habe mich auf Elderwinnesh zum Narren
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