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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex
Autoren: Jo Clayton
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über den Tisch Hana Esgard; sie machte sich nicht die Mühe, es zu falten - zweifellos würde es die Frau so oder so lesen, bevor sie es an ihren Vater weitergab… wenn sie es überhaupt weitergab. „Das hier ist wichtig für mich, Despina Hana”, erklärte sie ruhig. „Und es könnte sich auch für Ihren Vater als wichtig erweisen.” Sie erhob sich, wandte sich ab und machte Anstalten, zu gehen.
    „Warten Sie!” Hana räusperte sich; als sie weitersprach, klang ihre Stimme dennoch heiser: „Aleytys von Wolff. Die Jägerin?”
    Aleytys drehte sich mit einem Ruck um. Die jähe Dringlichkeit in der Stimme der Frau verblüffte sie und weckte für einen Moment soeben begrabene Erwartungen. „Sie kennen mich?”
    „Ich habe gehört…” Hana machte sich nicht die Mühe, fortzufahren. Sie starrte auf das Papier hinab, das sie mit zitternden Fingern drehte und wendete. Sie hob den Kopf - und jetzt blickte sie zum ersten Mal voll und ganz auf und mehrere Sekundenbruchteile lang in Aleytys’ Gesicht; sie forschte in ihren Zügen, als versuche sie, dort etwas ganz Bestimmtes zu finden. Eine Ähnlichkeit?
    Kannte sie Shareem? Möglich. Oder galt die Frage nur der Verläßlichkeit gewisser Gerüchte, die ihr zu Ohren gekommen sein mochten?
    Aleytys lächelte verbissen. „Gutes oder Schlechtes?”
    „Wie bitte? Oh, Gutes, denke ich.” Hanas Lippen verzogen sich zu einem bebenden Lächeln. „Es kommt darauf an, welche Seite man vorzieht.” Sie legte eine dünne, kalte Hand auf Aleytys’ Arm.
    „Ich würde gerne mit Ihnen reden. Vielleicht bei einer Tasse Cha?
    - Oder Kaffeh, was immer Sie vorziehen. Ich muß Ihnen gewisse Dinge über Esgard sagen… Wenn es Ihnen nichts ausmacht…”
    Hana zupfte an ihrem Ärmel. „Bitte. Weiter hinten gibt es einen Innenhof, dort ist es jetzt sehr angenehm.”
    2
    Hana verstummte, als die Dienerin heißen Cha und kleine Sandwiches servierte. Der Hof war größer, als dies nach der schmalen Fassade des Esgard-Hauses möglich schien, erfüllt von Blumen und Bäumen; auf einer weiten Rasenfläche erhob sich ein Springbrunnen in schlichter Eleganz: Den gedämpften Stimmen des Windes, der im Gras und mit den Blättern spielte, war eine leise Wassermusik hinzugefügt.
    Aleytys nippte an dem Cha, behielt die Tasse zwischen den Handflächen und genoß die Wärme, während sie in die bernsteinbraune Flüssigkeit hinabstarrte. „Sil Evareen?”
    Hana nickte. „Avalon. Die Inseln der Glückseligen. Nadorimadana. Kahlak-laksmin.” Ein Lächeln zerrte an ihren Mundwinkeln.
    „Vrithian.”
    Aleytys gluckste. „Manchmal staune ich wirklich.”
    „Träume. Mythen.” Hana klopfte mit den Fingernägeln gegen die Tasse. „Vernünftige Leute fassen sie als nichts anderes auf. Ich selbst habe einen Vryhh Esgard erzählen hören, daß jenes Vrithian, über das die Menschen reden, niemals existiert habe.”
    Sie saßen sich an einem kleinen Tisch aus poliertem Holz gegenüber, in Sesseln, die wie abgesägte Fässer aussahen, mit kurzen Rückenlehnen, die den Sitzenden gerade in der Rückenmitte stützten.
    „Sil Evareen”, wiederholte Hana. „Der Mythos von Ibex. Heute hat diese Welt keine große Bedeutung mehr.” Sie bewegte ungeduldig die Schultern. „Aber als ich noch ein Kind war, hat mir Esgard oft davon erzählt. Er zeigte mir Fotos, aufgenommen von den Satellitenkameras. Sie wissen schon.” Sie sprach mit hastiger, unpersönlicher Stimme, die Worte ein leiser, plappernder Strom, als hätte sie sie auswendig gelernt - ohne den Sinn dahinter zu verstehen; oder als begreife sie es zumindest nur verstandesmäßig, nicht jedoch mit Leib und Seele. „Vor drei- bis fünftausend Jahren gab es dort eine hochtechnisierte Zivilisation mit einer in die Milliarden gehenden Bevölkerung. Sie standen kurz davor, die Fesseln ihrer Welt abzustreifen. Anzeichen sprechen dafür, daß sie bis zu ihrem Mond vorstießen. Aber das war auch das Ende.”
    Aleytys beugte sich vor und berührte Hanas Handrücken. „Was ist geschehen?”
    „Esgard zufolge gab es Krieg. Seuchen und Hungersnot folgten.
    Sie legten ihre Städte in Schutt und Asche. Sie haben sich gegenseitig umgebracht… nur wenige überlebten… Gifte, Krankheiten, Raketen, Bomben, Handfeuerwaffen… Sie waren ihre eigenen Henker, wie man so sagt. Sie haben sich ihrer Technologie entledigt. Sie haben die Metalle aufgebraucht, Kohlenwasserstoffe, alles. Sie haben sich selbst vernichtet, und mit sich ihre Welt. Jahrtausende sind
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