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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan
Autoren: Oliver Henkel
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seinen Gehrock ab, um stattdessen einen bereitliegenden ölbeschmutzten Kittel über die bestickte Weste zu ziehen.
    Kaum hatte er sich dergestalt umgekleidet und einen Schraubenzieher zur Hand genommen, da klopfte jemand ans Tor. Mit einem entnervten Seufzen legte er das Werkzeug nieder, durchschritt die Lagerhalle und öffnete.
    Stieber war nicht wenig erstaunt, einen preußischen Offizier hereinkommen zu sehen. Der lange graue Uniformmantel mit den Epauletten eines Hauptmanns kaschierte nur ansatzweise seine untersetzte Gestalt. »Guten Abend, Herr Weaver«, begrüßte er den dünnen Mann. »Ich dachte mir doch, dass ich Sie hier antreffe. Komme ich ungelegen?«
    »Aber gar kein Gedanke, Herr Heinze«, versicherte Weaver. Er verschloss die Tür erneut, dann begab er sich gemeinsam mit dem Offizier zurück zur Werkbank. »Was verschafft mir das Vergnügen Ihres Besuches?«
    »Ein Vergnügen ist es nicht gerade, befürchte ich. Aber das kann natürlich Ansichtssache sein«, lautete Heinzes kryptische Entgegnung. »Sie wissen ja um die anonymen Hinweise, die mein Vorgesetzter erhält. Nahezu alle unsere Vorhaben scheitern dadurch mittlerweile.«
    Weaver nickte mit ernster Miene. »Schlimm, ganz schlimm. Wenn wir den Verräter in unserer Mitte doch nur ausfindig machen könnten!«
    »Und genau das ist mir gelungen«, verkündete der Hauptmann.
    »Was sagen Sie da?«, platzte Weaver heraus.
    »Sehen Sie, ich bin methodisch vorgegangen, um ihm auf die Spur zu kommen«, führte Heinze aus. »Ich untersuchte, wer eigentlich von jedem unserer verratenen Pläne Kenntnis hatte. Und heute Abend stellte ich fest, dass es nur eine Person gibt, die in alle Vorhaben eingeweiht war. Nämlich Sie!«
    Heinze zog einen Revolver aus der Manteltasche, richtete ihn auf sein verschrecktes Gegenüber und spannte den Hahn. »Leugnen ist zwecklos, Weaver. Sie sind der Verräter an unserer Sache. Mich würde nur interessieren, wieso Sie uns seit Monaten hintergehen.«
    »U-um Gottes willen, nicht«, stotterte Weaver angsterfüllt. »Ich sage Ihnen alles, nur tun Sie das nicht!«
    »Nun gut, sprechen Sie. Ich bin ja kein Unmensch.«
    Weaver benötigte mehrere Versuche, ehe er seine vor Furcht versagende Zunge unter Kontrolle bringen konnte.
    Gehetzt berichtete er: »Im Sommer hielt ich mich zur Genesung in meinem Landhaus nahe der Grenze auf. Eines Tages brachten Soldaten einen Sklaven, der aus North Carolina geflohen war. Sie hätten ihn sehen müssen! Mit Hunden hatte man ihn gejagt, wie ein Tier. Er war furchtbar zugerichtet. Und wie er im Delirium, von Schmerzen geschüttelt auf dem Sofa lag … da habe ich begriffen, dass ich mich mein Leben lang für die schlechteste Sache der Welt eingesetzt hatte. Ich musste umkehren, ich musste es tun.«
    »Eine rührende Geschichte«, befand Heinze sarkastisch. »Wegen eines entlaufenen Niggers haben Sie beschlossen, uns zu verraten. Das wird Ihrem Bruder gar nicht gefallen. Fleißig, wie Sie sind, haben Sie wohl schon den nächsten Brief in Arbeit.«
    »Warten Sie! Einen Moment«, bat Weaver aufgeregt, griff fahrig in seine Hosentasche und brachte ein bereits adressiertes und frankiertes Kuvert zum Vorschein, das er dem Offizier aushändigte. »Ich – ich wollte ihn nachher absenden. Nehmen Sie ihn. Ich verspreche, ich schwöre, dass ich nie wieder ein Geheimnis der NeitherNors preisgeben werde, niemals!«
    »Davon bin ich überzeugt«, entgegnete Heinze. Er hob den Revolver und schoss.
    Weaver gab einen hohl glucksenden Laut von sich, dann fiel er zu Boden.
    »Ich habe gelogen«, sagte der Hauptmann ironisch, während er auf die Leiche hinabsah und den Briefumschlag einsteckte. »Ich bin doch ein Unmensch.«
    Stieber hatte das Geschehen von seinem Versteck aus genau verfolgt und sich vollkommen ruhig verhalten. Doch jetzt, als Heinze sich schon zum Gehen wenden wollte und alles beinahe ausgestanden war, unterlief dem Geheimpolizisten ein Missgeschick. Staub stieg ihm in die Nase. Er nieste.
    Heinze fuhr herum, blickte alarmiert nach allen Seiten, den Revolver schussbereit. »Wer da?«, rief er aus. »Rauskommen, los!«
    Die Situation war für Stieber eindeutig. Nur einer von ihnen konnte das Gebäude lebend verlassen. Und an Heinze würde er dieses Privileg nicht abtreten. Blitzartig erhob er sich aus seiner Deckung und zielte mit dem Revolver auf den Hauptmann.
    Heinze bemerkte ihn, konnte aber nicht mehr reagieren. Stiebers Schuss traf ihn in die Brust. Er sackte zusammen.
    Rasch kletterte der
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