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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan
Autoren: Oliver Henkel
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ihm beim Aufstehen behilflich zu sein.
    »Das denke ich auch«, murmelte der Arzt benommen, während er sich aufraffte. »Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Gestatten, Friedrich von Gerolt, preußischer Botschafter in Washington. Und Sie sind, wie ich vermute, Herr Doktor Georg Täubrich? Ich bin überaus erfreut, Sie am Leben zu wissen.«
    »Ich ebenfalls«, entgegnete Täubrich und rieb sich den schmerzenden Kopf. »Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen.«
    Der Botschafter holte ein längliches Silberetui aus der Innentasche seines Gehrocks hervor. »Dessen bin ich mir gewiss. Sie dürfen meiner ungeteilten Aufmerksamkeit versichert sein.« Gelassen entnahm er dem Etui eine Zigarre und ein Streichholz.
    Entsetzt wedelte Täubrich mit den Händen und warnte eilig: »Himmel, nein! Das ist zu gefährlich!«
    »Zu gefährlich?« Gerolt zog den Kopf des Zündholzes über den aufgerauten Rand des Etuis; Feuer flammte auf. »Nun, ich vermag diese Ansicht nicht zu teilen.«
    Mit einer Bewegung des Zeigefingers ließ er das brennende Streichholz durch die Luft fliegen, direkt in das offene Fass. Täubrich sah es langsam, unendlich langsam vor seinen Augen entlangziehen. Ihm war, als setze sein Herz aus.
    Die Flamme fiel in das Schießpulver. Nichts passierte. Lautlos erlosch das Feuer.
    »Neuntausend Tonnen Schlacke, schwarzer Sand und Erde«, erklärte Gerolt erheitert über den Effekt seiner Demonstration dem sprachlosen Arzt. »Die teuerste und zugleich wertloseste Fracht, die je ein Schiff über den Atlantik trug, verehrter Herr Doktor.«

Vier Tage später
    Sie hatten sich alle in Rebekka Heinrichs Salon versammelt. Die Schuldirektorin und Amalie von Rheine trugen ihre schönsten Kleider mit ausladenden Reifröcken und tiefen Dekolletés, Wilhelm Pfeyfer hatte die Paradeuniform mit den schneeweißen Hosen angelegt und Georg Täubrich war im Frack erschienen. Doch ihre düsteren Mienen standen in hartem Kontrast zu der feierlichen Kleidung.
    Ihre Blicke waren auf Wilhelm Stieber gerichtet, der den Zylinder in der Hand behielt und dadurch andeutete, dass seine Anwesenheit nur von kurzer Dauer sein würde. Pfeyfer und Rebekka hielten sich fest an den Händen, Täubrich wollte schützend den Arm um Amalie legen, doch sie kam ihm knapp zuvor und zog ihn eng an sich. Allen war unterschwellig zumute, als müssten sie sich vor dem unscheinbaren schmächtigen Mann in Acht nehmen wie vor einem tollwütigen Hund.
    »Auftritte wie dieser widersprechen eklatant meinen Prinzipien«, begann Stieber in missbilligendem Tonfall. »Doch Seine Hoheit bestand gegen mein ausdrückliches Anraten darauf, dass ich Sie vor Ihrer heutigen öffentlichen Ehrung in die Hintergründe des Geschehenen einweihe. Und ich muss mich dem bedauerlicherweise beugen. Ich habe –«
    »Dass Sie hinter allem stecken, hat uns der Kronprinz bereits eröffnet«, unterbrach Rebekka ihn harsch. »Der Aufstand der NeitherNors, der Einmarsch der Konföderierten, die Sache mit der
Leviathan,
alles wurde von Ihnen inszeniert, nur damit es scheitert. Aber wozu? Sagen Sie uns das! Wozu dieses ganze abartige Theater?«
    Stieber begann zu lächeln. »Ah! Sie stellen gleich die richtige Frage, das zeugt von einem Sinn für die wahre Gewichtung der Dinge. Respekt! Nun, die Antwort ist einfach. Es ging darum, den Bewohnern dieser Provinz den Kopf zurechtzurücken.«
    »Den Kopf zurechtrücken? Was meinen Sie damit?«, fragte Amalie gereizt durch die Antwort, die keine war.
    »Als die intelligente junge Dame, die Sie nach meinem Dafürhalten sind, könnten Sie ohne Weiteres selbst darauf kommen«, entgegnete Stieber gönnerhaft. »Diese Provinz drohte verloren zu gehen. Schon lange liebäugelten die hiesigen Liberalen ja damit, Karolina von Preußen loszulösen und dafür die Nähe der amerikanischen Nachbarn zu suchen. Durch die Not, die das Ausbleiben der Baumwolle hervorrief, gewann diese Idee im vergangenen Jahr gefährlich viel Kraft. Was hätte man in Berlin tun sollen? Auf die Erpressung der Konföderierten Staaten eingehen, sie diplomatisch anerkennen, damit sie wieder Baumwolle lieferten? Undenkbar!«
    Er holte sein Zigarrenetui hervor, doch ein strafender Blick Rebekkas veranlasste ihn, es sogleich wieder einzustecken.
    Nachdem er sich kurz geräuspert hatte, fuhr er fort: »Das hätte den Insurgenten zugleich die Möglichkeit eingebracht, über den Hafen von Friedrichsburg die Blockade durch die Unionsmarine zu durchbrechen. Dadurch hätten sie unter
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