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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan
Autoren: Oliver Henkel
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Brillengläsern. »Ein Vergleich, den mancher als Beleidigung auffassen würde. Ich hingegen empfinde ihn als höchst schmeichelhaft, denn wie einer Spinne selbst die kleinste Bewegung in ihrem weit gespannten, kunstvollen Netz nicht entgeht, erfahre auch ich alles und jedes.«
    »Eine Spinne lässt aber nicht einige im Netz festkleben und weist nach Gutdünken anderen einen sicheren Weg über den Fäden«, wandte Pfeyfer ein, zunehmend ungehalten über die unerschütterliche Arroganz des Geheimpolizisten. »Oder wie sonst soll ich es nennen, dass Sie ausgerechnet Leutnant Levi in Ihre Pläne einweihten, mich jedoch über Ihr Vorhaben im Dunkeln ließen?«
    »Ich halte mich an Leute, die nichts zu verlieren, aber durch willfähriges Mitwirken viel zu gewinnen haben. So wie eben Levi, der jetzt ja auch mit dem verdienten Avancement belohnt wird«, stellte Stieber klar. »Dass Sie hingegen nicht für eine Zusammenarbeit in Frage kamen, erkannte ich gleich bei unserem ersten Zusammentreffen. Ihre altväterlichen Ehrbegriffe stehen konträr zu meiner Profession. Sie ins Vertrauen zu ziehen, wäre ein zu großes Risiko gewesen. Ich musste damit rechnen, dass Sie meine Vorgehensweise als schändlich empfinden und sich gegen mich stellen könnten.«
    »Dessen dürfen Sie sogar sicher sein!«, bekräftigte Pfeyfer finster.
    »Ich danke Ihnen für diese Bestätigung meiner Menschenkenntnis.« Stieber nahm die Brille ab und hielt sie ins Licht, um die Gläser auf Verschmutzungen abzusuchen. Beiläufig sprach er dabei weiter: »Ach, und da wir gerade bei diesem Thema sind … die tatsächlichen Umstände von Friedrich Heinzes Dahinscheiden dürften Sie doch gewiss interessieren, Herr Major?«
    Pfeyfer horchte auf. »Sie kennen seinen Mörder?«
    »Sagen wir lieber, ich weiß aus erster Hand, wie er zu Tode kam«, verbesserte Stieber, wobei er seiner Westentasche ein kleines Flanelltuch entnahm, mit dem er die Brille zu reinigen begann. »In der Nacht des 26. Oktober nämlich …«
     
    … öffnete sich mit leisem Knarren die Tür, die in einen der Torflügel eingelassen war. Wilhelm Stieber schlüpfte ins Innere des Lagerhauses. Sogleich schloss er die Tür hinter sich und verriegelte sie mit einer geschickten Drehung des Dietrichs wieder. Er wollte nicht gestört werden, während er sich hier umsah. Zwar hatte er für den äußersten Notfall einen Revolver bei sich, aber ihm war sehr daran gelegen, jeden unnötigen Zwischenfall zu vermeiden.
    Er öffnete die Klappe an der Vorderseite seiner kleinen Handlampe, so dass etwas Licht austrat. Nicht viel, nur ein schwacher Schein, der kaum zehn Fuß weit reichte. Man sollte von der Straße kein verräterisches Leuchten hinter den Fenstern sehen können. Dann ging er durch die nahezu leere Halle und nahm alles in Augenschein. Er hatte vor, sich für seine Pläne der Richmond-Handelsgesellschaft zu bedienen. Dafür war es notwendig, dass er sich zunächst ein Bild von ihren Aktivitäten machte. Und dazu wiederum hatte er sich Zutritt zu ihrem Lagerhaus verschafft, was ihm überaus leichtgefallen war.
    Schnell stellte er fest, dass die Geschäfte der Firma offenbar wirklich nahezu zum Erliegen gekommen waren. Fast nichts befand sich in dem großen Raum. Nur ganz am hinteren Ende entdeckte er einige Tabakballen, zu einer Pyramide von sieben oder acht Fuß Höhe aufgeschichtet, einen Kistenstapel sowie eine Werkbank und etwas, das wie eine unfertige Druckerpresse aussah. Ansonsten fand er nichts Bemerkenswertes vor.
    Schon wollte Stieber wieder gehen, als er hörte, wie ein Schlüssel in das Türschloss geschoben wurde. Er musste auf der Stelle ein Versteck finden. Da ihm der Berg von Tabakballen gerade am nächsten war, kletterte er behände hinauf und verbarg sich hinter der obersten Lage. Von dort aus konnte er ungesehen alles beobachten. Er klappte die Lampenöffnung zu, zog vorsichtshalber den Revolver und wartete.
    Die Tür öffnete sich, eine schattenhafte Gestalt trat ein und schloss hinter sich wieder ab. Dann durchquerte der Unbekannte das Lagerhaus, in dem er sich trotz der Dunkelheit ohne Probleme zurechtzufinden schien. An der Werkbank angelangt, entzündete er mit einem Streichholz den Gasleuchter.
    Im aufflackernden Licht der Gasflamme sah Stieber einen äußerst dünnen Mann mit runder Brille auf der schmalen Nase. Er nahm zunächst den Seidenzylinder ab und legte einen fast kahlen, nur noch von einem schütteren Haarkranz umgebenen Kopf frei. Daraufhin streifte er
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