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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan
Autoren: Oliver Henkel
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erzählten.
    Die zum Greifen nahe Freiheit gab ihm noch einmal Kraft. Er schleppte sich weiter, versuchte zu laufen. Hinter ihm wurde das Bellen lauter.
     
    Gerade sortierte der Sergeant die ineinander verdrehten geflochtenen Schnüre seines Portepees, als ihn ein Geräusch aufhorchen ließ. Hundegebell drang von der anderen Seite der Grenze herüber. Wenn ein einzelner Hund anschlug, hatte das nie viel zu bedeuten. Doch dies musste eine ganze Meute sein. Und das konnte nur eines heißen: Ein Plantagenbesitzer jagte einen entflohenen Sklaven.
    Angestrengt hielt der Sergeant Ausschau. Und wirklich, dort wo sich die Straße in der vibrierenden Luft verlor, erschien eine schwarze Gestalt. Ein Mann in abgerissener Kleidung, der am Ende seiner Kräfte zu sein schien. Er bewegte sich schwankend auf die eigentliche Grenzlinie zu, die fünfzig Schritt vor dem Schlagbaum verlief und durch zwei hölzerne Pfähle markiert wurde, einer schwarz-weiß gestreift, der andere blau-weiß-rot. Im selben Moment, als er diese Pfähle passierte, erschien die furchteinflößend laute Hundemeute hinter ihm. In wenigen Momenten würde sie ihn einholen.
    Verdammte Scheiße!,
dachte der Sergeant mit zusammengebissenen Zähnen. Er überlegte nur kurz, nicht einmal eine Sekunde lang, und rief dann aus vollem Hals: »Wache raustreten!«
    Augenblicklich verstummten die Geräusche des Kartenspiels im Wachhaus, dafür waren eiliges Stiefeltrampeln und das Klirren der rasch ergriffenen Waffen zu hören. Die Soldaten kamen ins Freie gerannt, noch während sie sich die Kinnriemen ihrer Helme zurechtzogen.
    »In Linie hinter dem Schlagbaum deployieren!«, ordnete der Sergeant an. Mehr brauchte er nicht zu sagen. Jeder konnte den von Hunden gehetzten flüchtigen Sklaven sehen, den nur noch wenige Schritte von der Schranke trennten. Doch nun preschte ein riesiger Bluthund aus der Meute vor. Er machte einen Satz und schlug seinem Opfer die Zähne ins Bein. Der Sklave schrie auf und stürzte.
    Diesmal war kein Befehl nötig. Ein Soldat feuerte sein Gewehr aus nächster Nähe auf den Hund ab. Blut spritzte nach allen Seiten, die Zähne lösten sich aus dem Fleisch und mit einem rasch ersterbenden Winseln ging das Tier zu Boden. Der Rest der Meute, schon bedrohlich nah herangekommen, wurde durch den scharfen Knall des Schusses vertrieben und ergriff die Flucht. Zwei Soldaten zogen den vor Schock bewusstlosen Sklaven auf ihre Seite des Schlagbaums. Doch der Sergeant ahnte, dass die Sache noch nicht ausgestanden war. Die Hundemeute mochte vertrieben sein, aber nun erschien eine Gruppe von sieben Reitern und hielt auf den Grenzposten zu. Sie machten nicht an den Pfählen halt, sondern brachten ihre Pferde erst knapp vor dem Schlagbaum zum Stehen.
    Ihr Anführer, ein nahezu karikaturartig typischer Plantagenbesitzer der Südstaaten mit einem Bart nach Art des französischen Kaisers Napoleon III. und einem breitkrempigen weißen Strohhut, deutete mit der Mündung seines Colts auf den ohnmächtigen Sklaven und forderte herrisch: »Der Nigger gehört mir. Rückt ihn raus!«
    »Wir liefern keine entflohenen Sklaven aus«, entgegnete der Sergeant frostig. »Sie sollten das eigentlich wissen, Sir.«
    »Gebt ihn mir oder wir holen ihn uns!«, drohte der Südstaatler und unterstrich seine Worte, indem er den Hahn seiner Waffe spannte. Die übrigen sechs Reiter taten es ihm nach.
    Der Sergeant sah dem Sklavenhalter unbeirrt fest in die Augen und befahl dabei ruhig: »Legt an!« Unverzüglich richteten die Soldaten ihre schussbereiten Gewehre auf die Fremden.
    Die Reiter zögerten zu reagieren. Aber sie erkannten, dass ihre sieben Colts den zwölf Gewehren chancenlos unterlegen waren. Betont langsam, um ja keinen irrtümlichen Schusswechsel auszulösen, steckten sie ihre Pistolen zurück in die Halfter.
    »Behaltet den Nigger«, knurrte ihr Anführer. »Aber fühlt euch bloß nicht zu sicher. Wir kommen wieder!«
    Sie rissen ihre Pferde herum und ritten in scharfem Galopp davon, ohne noch einmal zurückzublicken.
     
    Jetzt, da die Gefahr überstanden war, konnte der Sergeant sich endlich um den bewusstlosen Verletzten kümmern. Er ging neben ihm in die Hocke und legte zwei Finger auf dessen Halsschlagader, um sich zu vergewissern, dass er es überhaupt noch mit einem lebenden Menschen zu tun hatte.
     
    Bob öffnete mühsam die brennenden Augen. Als die Dunkelheit wich, sah er das Gesicht eines Mannes, der sich über ihn beugte. Eines Mannes in blauer Soldatenuniform,
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