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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan
Autoren: Oliver Henkel
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etwas gedämpfterem Tonfall fort: »Die wissbegierige Einsichtnahme in unsere persönlichen Habseligkeiten ist nach wie vor das Privileg der königlichen Zollbehörde.«
    Amalie verzog säuerlich die Mundwinkel. Sie hatte mit dem Pflichteifer der preußischen Douaniers bereits bei früheren Reisen reichlich Bekanntschaft schließen dürfen.
    Theodor Fontanes Gesichtsausdruck veränderte sich; er schien einen plötzlichen Einfall zu haben. Rasch schlug er sein Notizbuch auf, doch der Wind fuhr zwischen die Seiten und blätterte sie immer wieder um, so dass es ihm nicht möglich war, auch nur ein Wort ungehindert niederzuschreiben.
    »Würden Sie mich entschuldigen, Fräulein von Rheine?«, bat er schnell. »Unser Gespräch hat mich zu einer Einleitung für meinen ersten Artikel inspiriert. Ich möchte diese Idee zu Papier bringen, bevor sie mir vielleicht wieder entgleitet.«
    Amalie gab ihm zu verstehen, dass sie volles Verständnis für die besonderen Zwänge habe, die einem Schriftsteller von seinen Eingebungen auferlegt werden. Dankend zog der Journalist mit einer angedeuteten Verbeugung den Hut und entfernte sich eilig.
    Nur kurz blickte Amalie ihm nach und fragte sich, welche Gestalt das kurze Gespräch wohl in seinem Artikel annehmen würde. Dann wandte sie sich wieder um und schaute auf das amerikanische Schiff, das inzwischen so nah gekommen war, dass sie mit bloßem Auge den Namen
Brazeau
am Bug ausmachen konnte. Zugleich erstarb das Stampfen der Dampfmaschine tief im Bauch der
Suebia.
Ein Beiboot wurde von dem Kriegsschiff zu Wasser gelassen.
    Die Schicklichkeit hätte verlangt, dass Amalie in ihre Kabine zurückkehrte und dort blieb, solange die amerikanischen Offiziere an Bord waren. Einer jungen Dame, zudem noch einer unverheirateten, stand es nicht zu Gesicht, unziemliche Neugier an den Tag zu legen. Aber in diesem Fall, entschied Amalie, musste die Schicklichkeit zurückstehen. Sie wollte zu gerne wissen, ob amerikanische Offiziere in Haltung und schneidigem Äußeren wohl mit preußischen mithalten konnten. Also blieb sie an Deck und verfolgte, wie sich das weiße Beiboot der Fregatte mit gleichmäßigen Ruderschlägen langsam der
Suebia
näherte.

Washington, District of Columbia
    Wilhelm Pfeyfer ging mit schnellen, festen Schritten die Pennsylvania Avenue hinab. Er war in Eile. Im Navy Yard, wo er mit dem eigens für ihn abgestellten Aviso
Libelle
eingetroffen war, hatte ihm niemand ein Pferd zur Verfügung stellen wollen, und kein Droschkenkutscher hatte ihn auch nur eines Blickes gewürdigt. Also musste er zu Fuß an sein Ziel gelangen, und das so rasch wie möglich. Seinen König warten zu lassen, war für ihn undenkbar.
    Das Kapitol mit seiner noch immer unvollendeten Kuppel hatte Pfeyfer im Vorübergehen kaum eines beiläufigen Blickes gewürdigt. Für das müßige Bestaunen von Sehenswürdigkeiten fehlte ihm nicht alleine die Zeit, sondern auch jeglicher Sinn. Ein exakt ausgeführter Schwenk einer Infanteriekompanie im Parademarsch beeindruckte ihn mehr als architektonische Feinheiten, die sich vollkommen seinem Verständnis entzogen.
    So gut es ging, wich er den zahllosen lehmigen Pfützen aus, ohne dabei sein Tempo zu verlangsamen. Er hatte für diesen Anlass selbstverständlich seine Paradeuniform mit der weißen Hose angelegt, die er nun mühevoll vor jedem noch so kleinen Dreckspritzer schützen musste. Die Pennsylvania Avenue mochte schnurgerade und verschwenderisch breit angelegt sein, aber obwohl sie das Parlament mit dem Palast des Präsidenten verband und von repräsentativen Regierungsbauten und luxuriösen Residenzen gesäumt wurde, war sie unbegreiflicherweise nicht gepflastert. Jeder kleine Regenschauer verwandelte die Prachtstraße in einen gigantischen Schlammpfad. Und es hatte in der vorangegangenen Nacht reichlich geregnet.
    Natürlich hätte Pfeyfer auch auf den besser befestigten Bürgersteigen gehen können. Doch dort war das Gedränge so groß, dass er mit Sicherheit doppelt so lange gebraucht hätte, um das Weiße Haus zu erreichen. Er zog den Kampf gegen den Schmutz dem Kampf gegen die Menschenmassen vor.
    Dass er auffiel, war ihm natürlich bewusst. Er maß deutlich über sechs Fuß, trug zudem eine vor blanken Messingbeschlägen glänzende Pickelhaube auf dem Kopf und war ein Neger. Sein Aussehen zog unweigerlich alle Blicke auf ihn. Manche dieser Blicke waren bewundernd, manche einfach nur neugierig, andere aber unverhohlen feindselig. Die bewundernden Blicke kamen
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