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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan
Autoren: Oliver Henkel
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Hauptstadt Friedrichsburg alleine bereits fünfundsiebzigtausend.«
    »Ich bin beeindruckt, Fräulein von Rheine. Sie haben sich sehr eingehend über Preußisch-Amerika informiert.«
    »Leider nicht so eingehend, wie mir lieb wäre. Ich musste unter Zeitdruck disponieren und konnte über mein Reiseziel nur einen Bruchteil dessen in Erfahrung bringen, was ich wissen wollte. Bei Licht besehen beschränken sich meine Kenntnisse auf das, was ich während der Überfahrt im Baedeker gelesen habe«, gestand Amalie bedauernd ein.
    »Das ist ganz und gar keine Schande«, versicherte ihr Fontane. »Die meisten Preußen wissen weit weniger über Karolina. Letztlich ist dieses beklagenswerte Defizit ja auch der Grund, weshalb ich diese Fahrt unternehme. Vielleicht bringen meine Artikel in der Kreuz-Zeitung ja unseren Landsleuten diese in jeder Hinsicht außergewöhnliche Provinz ein wenig näher.«
    »Was auch dringend notwendig ist, Herr Fontane. Als ich einigen Freundinnen meinen Entschluss mitteilte, nach Amerika zu gehen, versuchten sie händeringend, mich davon abzubringen. In ihrer Vorstellung ist Karolina eine Art unzivilisierte Halbwildnis, in der, überspitzt ausgedrückt, gleich hinter dem Meeresstrand der Urwald beginnt und wo man damit rechnen muss, sofort nach Verlassen des Schiffes von Indianern überfallen und verschleppt zu werden.«
    Fontane konnte sein Lachen nicht zurückhalten. »Oh ja, solchen krausen Ansichten bin ich auch begegnet. Hoffen wir zu unserem Besten, dass wirklich nichts davon zutrifft. Wir werden uns ja sehr bald unser eigenes Bild von der Realität machen können. Der Kapitän sagte mir eben, dass wir am frühen Nachmittag Friedrichsburg erreichen – falls wir nicht übermäßig lange aufgehalten werden.«
    »Was sollte uns denn aufhalten?«, wunderte sich Amalie.
    »Beispielsweise diese Herrschaften dort«, gab Fontane zur Antwort und wies auf das bereits erheblich näher gekommene andere Dampfschiff. »Sie halten gezielt auf uns zu. Ich möchte wetten, dass wir es mit einem amerikanischen Kriegsschiff zu tun haben. Man wird die
Suebia
zweifellos kontrollieren wollen.«
    Er setzte an, die Hintergründe zu erklären, doch Amalie unterbrach ihn freundlich, aber bestimmt schon nach den ersten Worten: »Bitte sparen Sie sich diese Mühe. Mir ist bekannt, dass man in Amerika befürchtet, die aufständischen Staaten des Südens könnten über Karolina Nachschub empfangen.«
    Verdutzt hob Fontane die Augenbrauen. »Es ist höchst ungewöhnlich, dass eine junge Dame derartige Zusammenhänge versteht«, meinte er überrascht. Als er merkte, wie sich bei seinen Worten Amalies Miene zu verfinstern begann, fügte er eilig hinzu: »Ich bitte um Verzeihung, das war äußerst taktlos von mir. Nach unseren bisherigen Gesprächen hätte ich in der Lage sein sollen, Ihren Geist zutreffender einzuschätzen.«
    »Ich will es Ihnen nachsehen, Herr Fontane«, erwiderte sie lächelnd. Man hatte ihr schon zu oft allein aufgrund ihres Geschlechts die Fähigkeit zum eigenständigen Denken abgesprochen, als dass sie sich noch in jedem einzelnen Fall darüber aufregen wollte.
    Auf jeden Fall wusste Amalie, dass die Vereinigten Staaten alle brauchbaren Häfen des aufständischen Südens besetzt oder von See her abgeriegelt hatten. Doch über Karolina konnte, rein theoretisch, auch weiterhin jede Art von Nachschub ungehindert ins Herz der Rebellenstaaten gelangen. Das war bisher zwar nicht geschehen, doch der Norden ging kein Risiko ein. Schiffe, die Karolina ansteuerten und nicht unter preußischer Flagge fuhren, wurden daher von der amerikanischen Kriegsmarine überprüft. Preußischen Schiffen blieben diese Kontrollen erspart; man wollte Preußen nicht unnötig erbittern und so vielleicht erst dazu bringen, den Rebellen ganz unverhohlen die Häfen zu öffnen. All das war Amalie dank aufmerksamer Zeitungslektüre vertraut, wenn sie auch Fontane in gewisser Weise recht geben musste. Es gab nicht viele Frauen, die Interesse für die Ereignisse in der Welt zeigten.
    »Denken Sie, man wird unser Gepäck kontrollieren?«, fragte sie, um ihren Gesprächspartner von der peinlichen Verpflichtung weiterer Bekundungen seines Bedauerns zu befreien.
    Fontane überlegte kurz, ehe er antwortete: »Das ist höchst unwahrscheinlich. Sie wollen vor allem Gewehre, Schießpulver und ähnliche Militärgüter aufspüren. Daher werden sie sich bei der Kontrolle wohl auf die Laderäume beschränken.« Er blickte sich kurz um und fuhr dann in
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