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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass
Autoren: Serhij Zhadan
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einen Junkie, der war beim Zirkus gewesen, als Jongleur. Der brachte uns die Tricks bei. Er wurde noch im Trikot bei uns eingeliefert. Schau mal, – der Priester holte mit einer unmerklichen Bewegung ein Fläschchen Spiritus aus der Jackentasche und bückte sich, als wolle er den Schürsenkel an seinem Schuh zubinden. Legte das Fläschchen schnell an den Mund und verstaute es heimlich wieder. Dann holte er schnell irgendwo aus der Luft ein Zippo-Feuerzeug, hielt es sich vors Gesicht und spie plötzlich einen großen blauen Feuerstrahl aus dem Mund.
    Erschrocken wich ich zurück. Aber bereits im nächsten Moment saß er wieder da wie zuvor, mit einem ruhigen und träumerischen Ausdruck in den Augen.
    – Das hier, – sagte er, – nennt man Gruppentherapie.
    Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte.
    – Wohin jetzt mit dir?
    – Ich muss was zu Ende bringen, – antwortete ich. – Was ganz Wichtiges.
    – Dann los, – ermutigte er mich. – Wenn was ist, du hast meine Nummer.
    – Dankbarkeit und Verantwortung, sagst du? – fragte ich ihn noch.
    – Ja, – nickte er zustimmend. – Dankbarkeit. Und Verantwortung.
    *
    Im Erdgeschoss des Hotels Spielautomaten. Davor auf hohen Stühlen ein paar Pioniere mit gläsernem Blick, auf dem Fensterbrett ein im Sitzen schlafendes Mädchen in Turnschuhen und rot gefärbten Haaren. Durch den Flur eilten irgendwelche Tschetschenen und trugen Kisten hinaus, in denen dumpf Grapefruits rollten. Ich ging an die Rezeption. Nannte meinen Namen und fragte, ob jemand nach mir gesucht hätte. Die Frau nannte eine Zimmernummer. Wie gut, wenn man erwartet wird, dachte ich im Hinaufgehen.
    Das Hotel erinnerte an ein sinkendes Schiff – noch hatten es nicht alle verlassen, aber nur, weil sie nicht wussten, wohin. Ich ging durch einen langen dunklen Flur. Es roch nach Farbe und Hotelmöbeln.
    Die Tür stand halb offen. Man konnte hören, dass in der Dusche das Wasser lief. Ich klopfte, aber niemand antwortete. Öffnete die Tür und trat ein. Im Zimmer standen zwei Betten, dazwischen ein Schreibtisch. Es war unaufgeräumt, überall lagen Jeans, Baseballkappen, zerknitterte Laken und mit Senf verschmierte Frauenzeitschriften herum. Ein Bett war leer, auf dem anderen saß ein Typ, jünger als ich, fünfundzwanzig, höchstens. Er hatte die kratzige Hotelüberdecke bis ans Kinn gezogen und hielt einen Fruchtjogurt in der Hand. Auf dem Stuhl vor ihm stand ein Notebook, auf dessen Bildschirm ein Hardcoreporno lief. Ohne Ton. Ganz so, als wollten die Hauptdarsteller niemanden stören. Der Typ bemerkte nicht einmal, dass ich hereinkam, sondern sah wohl mein Spiegelbild im Monitor. Der Jogurt glitt ihm aus den Händen und fiel auf den Boden, wo er sich in einen süßen Erdbeerfleck verströmte. Der Typ fummelte herum, richtete etwas bei sich und brachte es zurück in den Normalzustand, dann warf er ungestüm, vielleicht über die Maßen ungestüm, fast schon demonstrativ, die borstige Decke ab und sprang auf die Füße. Er trug Trainingshosen, und zwar, wie ich bemerkte, Markenware, und ein weißes T-Shirt und glich einem Passagier im Liegewagen, der gerade seinen Anzug abgelegt hat und nun Hauskleidung zu seinen nackten Füßen trägt. Am Kopf hatte er wirklich seitlich eine Glatze, so wie Olga es berichtet hatte, aber dadurch wirkte er auch nicht erwachsener. Im linken Ohr trug er ein Headset, das wie ein schweres Hörgerät aussah. Er drehte sich zum Computer und haute in die Tasten, um den Porno abzuschalten. Drehte sich wieder zu mir um und schaute mich frech, aber nicht hundertprozentig selbstsicher an. Das Bild auf dem Laptop blieb hängen, und ein goldblonder Frauenkopf, der verzweifelt an jemandem saugte, zitterte dunkel in seinem Rücken.
    – Hermann? – fragte er irgendwie aufgelöst. – Dima, – stellte er sich vor und streckte mir die Hand hin. – Setzt dich. – Er zeigte auf einen Stuhl in der Nähe der Tür.
    Ich warf eine verklebte Cosmopolitan auf den Boden und setzte mich. Dima wollte die Zeitschrift schon aufheben, hielt sich aber im letzten Moment zurück. Stand da und musterte mich theatralisch von Kopf bis Fuß, wobei er sich langsam fasste und überlegte, wie er mich am besten packen sollte. Die Blonde hinter seinem Rücken, die immer noch irgendetwas Jenseitiges aufsaugte, kontrastierte bunt mit seinen Trainingshosen.
    Ich wollte gerade etwas sagen, da hörte das Wasser in der Dusche auf zu laufen, und einen Augenblick später betrat sein Partner das Zimmer –
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