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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass
Autoren: Serhij Zhadan
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wie Stoff, aus dem Überzüge für Möbel geschneidert werden sollten. In der Zeit, in der ich weg gewesen war, hatte sich hier nichts verändert. Glas, Schrott und versengtes Gras am Seitenstreifen. Die Lichter der Häuser weit hinter dem Damm. Stille ringsumher. Stimmen und Flüstern, die sich darin auflösten. Wachsame Tiere. Schlafende Fische. Hoher Himmel. Schwarze Erde.

P. S.
    Hi, Hermann.
     
    Entschuldige, dass ich so lange nicht geschrieben habe. Erstens gibt es nicht viel zu berichten, und zweitens bezweifle ich, dass Dich überhaupt interessiert, was ich zu berichten habe. Jetzt aber schreibe ich, um Dir eine alte Geschichte zu erzählen. Ich weiß nicht mehr warum, aber damals habe ich sie Dir nicht erzählt. Es ist eine Geschichte über Pachmutowa, und weil Du die Verblichene ja auch gekannt hast, hoffe ich, dass der Vorfall für Dich interessant und lehrreich sein wird. Mein Alter hat Pachmutowa zu uns in den Turm gebracht, als ich drei Jahre alt war. Wir sind also zusammen aufgewachsen. Ich habe mich schnell an den Hund gewöhnt. Das Leben im Turm ist ziemlich eintönig, es gibt wenig Abwechslung, und so habe ich meine ganze Freizeit mit Pachmutowa verbracht. Wir schliefen zusammen, aßen zusammen, gingen zusammen spazieren. Wenn wir im Sommer in die Stadt zurückkehrten, machten wir immer am Fluss halt und badeten lange, schwammen unter die Brücke und lauschten, wie die Laster über uns hinwegdonnerten.
    An jenem Tag war es besonders still und sonnig. Es war Mitte des Sommers, die Tage waren warm und endlos. Wir gingen schon am Nachmittag zum Fluss. Vorher war Pachmutowa den halben Tag lang in den Hügeln um den Turm herumgejagt; sie war erschöpft und schleppte sich jetzt unwillig und schwer atmend hinter mir her Richtung Stadt. Ich ging als Erste ins Wasser. Hielt mich nahe am Ufer, da ich keine Lust hatte, gegen die Strömung zu paddeln. Pachmutowa aber warf sich hinein, schwamm immer weiter weg und freute sich über das frische kalte Wasser. Die Strömung trug sie fort, aber ich machte mir eigentlich keine Sorgen, denn Du weißt ja selbst, dass unsere Hunde viel besser schwimmen können als wir. Aber hier war es anders – das Wasser trug Pachmutowa immer weiter, bis zur Brücke, und wirbelte sie dort herum wie einen Zweig. Eigentlich ist der Fluss an der Stelle still und ruhig, aber unter der Brücke, wo das Bett ausgehoben wurde, gibt es Wirbel. In so einen Wirbel war Pachmutowa geraten. Ich erschrak und wollte schnell hin. Aber je näher ich an sie heranschwamm, desto klarer verstand ich, dass meine Kräfte nicht ausreichen würden, den Hund ans Ufer zu ziehen. Die Strömung erfasste mich und zog mich ins Tiefe, dort, wo ich Pachmutowa schon sehen konnte. Ich schwamm schnell zu ihr und hängte mich ihr verängstigt an den Hals. Sie glaubte vielleicht, ich wolle spielen, warf sich ebenfalls auf mich und umfasste mich mit ihren Pfoten. Ich schluckte schon Wasser. Eine Zeit lang versuchte ich noch zu schreien, den Hund von mir wegzujagen, schlug mit den Fäusten auf das Wasser. Aber es nutzte nichts, ich verausgabte mich völlig und begann, vor Angst und Scham das Bewusstsein zu verlieren. Wie kann das sein, dachte ich, ich wollte doch nur meinen Schäferhund retten. Und jetzt stellt sich heraus, dass ich nicht nur sie nicht retten kann, sondern auch selbst ertrinke.
    Und als ich dann wirklich auf den Grund sank und sich das Wasser als blaugrünes Licht über mir schloss, verstand Pachmutowa, dass ich nicht spielte, und tauchte hinter mir her. Gut, dass mein Verstand noch dafür reichte, sie am Hals zu packen und nicht mehr loszulassen. Die Strömung trug uns weit flussabwärts. Als wir ins flache Wasser kamen, krochen wir ans Ufer und schöpften lange, lange Atem, vor Angst zitternd. Pachmutowa beruhigte sich allerdings schnell und lief weg, um etwas am Ufer zu beschnüffeln. Ich aber saß im nassen Sand und dachte: wie seltsam – zuerst habe ich versucht, sie zu retten, dann hat sie mich gerettet, und jetzt verbindet uns etwas Wichtiges und Ernsthaftes, etwas, wovon wir niemandem erzählen werden: Ich, weil ich einfach Angst habe, und Pachmutowa, weil sie, Hermann, ein Schäferhund ist.
    Ich glaube, dass alles im Leben so ähnlich verläuft. Wir müssen versuchen, diejenigen, die uns nahestehen, zu retten, dabei merken wir manchmal nicht, wie sich die Verhältnisse ändern und dass die uns nahestehenden Menschen schon begonnen haben, uns zu retten. Ich glaube, genau so soll es sein und dass
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