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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds /
Autoren: Friedrich Ani
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perfekte Form sie immer wieder bewunderte, vor allem wenn sie sie glutrot schminkte und es sich nicht verkneifen konnte, ihr Spiegelbild auf den Mund zu küssen; sie sah die glatte, hellbraune Haut ihrer vollen, aber nicht zu vollen Wangen – und alles, was sie sah, gefiel ihr, und sie sagte: »Gut schau ich aus«, lächelte, verweilte einen Moment im Anblick des schönsten Planeten ihres Universums und ging dann nackt in den Flur, um frische Unterwäsche aus dem Schrank zu holen.
    »Ich bin froh, dass wir nicht mehr zusammenwohnen«, sagte Karl. Sie antwortete nicht. Sie war mit ihrem Büstenhalter beschäftigt, nachdem sie ihre Brüste kurz gestreichelt hatte, und entschied sich für einen schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarze Jeans. Immerhin stand ihr eine Beerdigung bevor.
    »Wo hat er sich denn vorher immer versteckt?«, fragte sie und hielt Ausschau nach der Bürste für ihre schwarzen, knöchelhohen Stiefel.
    »Angeblich bei seinem Vater, unsere Informationen sind noch sehr vage. Deswegen musst du versuchen, von Frau zu Frau die Mutter zum Sprechen zu bringen. Martin wird auch dort sein, er soll sich um den Vater kümmern.«
    »Schöne Bescherung, diese Beerdigung«, sagte sie. Sie fand die Bürste unter einem Haufen Plastiktüten, die sie für ihren Mülleimer in der Küche hortete. »Und die Mutter hat seit dem Verschwinden ihres Sohnes noch nicht mit ihrem Mann gesprochen?«
    »Nein, sie weiß ja nicht, wo er steckt.«
    »Keine Telefonnummer?«
    »Nein.«
    »Glaub ich nicht.« Den Hörer zwischen Schulter und Wange, zog sie ihren schwarzen, knielangen Wollmantel an, ließ den Hörer los und fing ihn mit der linken Hand auf, klemmte ihn unters Kinn und griff nach ihrer Schirmmütze aus Leder, die an der Spitze des Chromständers baumelte. »Die Frau weiß ganz genau, wo ihr Mann ist.«
    »Und warum sagt sie’s uns dann nicht?«
    »Vielleicht, weil sie weiß, dass ihr Mann keine Polizei mag und was dagegen hat, wenn ausgerechnet sie ihm die Bullen vorbeischickt.«
    »Es geht um ihren Sohn, Sonja! Glaubst du, dass bei ihr die Angst vor ihrem Mann größer ist als die Sorge um ihren kleinen Jungen?«
    »Nein«, sagte sie, »aber im Moment hat sie ohne ihren Mann schon genug Angst. Wie heißt der Junge?« Kaffee – wo gab es auf der Strecke von der Kollwitzstraße, in der sie wohnte, bis zum Ostfriedhof ein Stehcafé direkt an der Straße? Eine Beerdigung am Montagmorgen ohne starken Kaffee vorher – da konnte sie sich gleich mit in die Grube legen!
    »Raphael Vogel, er ist neun, wie gesagt. Der Mann, der beerdigt wird, Raphaels Großvater, heißt Georg Vogel, vierundfünfzig, starb an Lungenkrebs, von Beruf Straßenbahnfahrer.«
    »Straßenbahnfahrer?« Sie hatte eine Konkurrentin, die Straßenbahnfahrerin war, die einzige Frau, die sie jemals als echte Gegnerin auf dem Feld der Liebe akzeptiert hatte …
    »… Kaufhausdetektiv, aber sie haben ihn rausgeschmissen. Hallo!«
    »Was?« Sie hatte nicht zugehört, das Bild jener Frau war plötzlich in dem Sonnenaufgang erschienen, der als vergrößerte Fotografie in einem roten Rahmen an der Wand hing.
    »Ich glaub, du bist gestern ganz schön versackt«, sagte Karl, und jemand redete mit ihm, eindringlich, so dass er das Gespräch mit Sonja unterbrechen musste.
    »Hör zu«, sagte er dann zu ihr, »das war der Vater, er ist auf dem Weg zum Ostfriedhof, angeblich hat sich sein Sohn bei ihm gemeldet, telefonisch, woraufhin er zu Hause anrief, da war aber niemand, allerdings hat Kirsten Vogel …«
    »Ist das die Mutter?«
    »Das hab ich dir doch gerade gesagt, Kirsten Vogel, hör mir bitte zu! Und der Vater heißt Thomas Vogel, ein ehemaliger Kaufhausdetektiv, wie gesagt, im Moment arbeitslos, also …« Er hustete und trank einen Schluck Kaffee, und Sonja wusste, was er gerade tat und war neidisch. »Also, Kirsten Vogel hat auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen, dass sie bei der Polizei ist, für den Fall, ihr Sohn meldet sich bei ihr. So kam Vogel auf uns.«
    »Gibst du die Fahndung jetzt gleich raus?« Irgendwo rund um den Ostfriedhof
musste
es ein Café geben, in dem man auf die Schnelle etwas trinken konnte!
    »Ich warte auf deinen Anruf. Vielleicht taucht der Junge ja auf. Ich schick euch noch zwei Streifenwagen vorbei, die Kollegen behalten die Eingänge im Auge. Wenn Raphael nicht auftaucht und die Eltern nichts von ihm gehört haben, beginnen wir mit der Suche. Noch was?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich hab dich was gefragt!«, rief
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