Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Titel: Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
steht unter einem natürlichen Einfluss, aber Natur erweist sich in diesem Zusammenhang gerade nicht als beständig: Berge werden abgetragen und entstehen neu, Wasserläufe werden verlagert, Seen verlanden, Pflanzen wachsen und sterben ab, neue Tier- und Pflanzenarten tauchen auf, andere verschwinden.
    Fast alle Landschaften sind auch von Kultur – oder, genauer, von materieller Kultur – geprägt, von Siedlungen, Landwirtschaft, Bergbau und Industrie oder Verkehrswegen. Flüsse wurden reguliert, man rang dem Meer Neuland ab und legte Stauseen an. Kultiviertes Land ist ebenfalls dem Wandel unterworfen, aber die Menschen, die Landschaften mit ihren kulturellen Einflüssen prägten, wollten damit immer etwas Dauerhaftes schaffen. Sie strebten Beständigkeit für ihre Siedlungen und Wirtschaftsflächen an, weil sie sich davon ein sicheres Leben und Überleben versprachen.
    Keine Landschaft besteht nur aus diesen materiellen Elementen von Natur oder Kultur, sondern sie wird auch interpretiert oder bewertet, und zwar seit Jahrtausenden. Ergebnis dieses immer wieder unter anderen Einflüssen stehenden Reflexionsprozesses sind immaterielle Aspekte von Landschaft: Interpretationen, Ideen, Bilder oder Metaphern. Sie wurden von Generation zu Generation überliefert und beeinflussten das Denken in nachfolgenden Zeitaltern.
    Natur in der Umwelt des Menschen lässt sich durch Kultur nie vollständig zurückdrängen: Auf einem (durch Kultur angelegten und bewirtschafteten) Acker lässt man Pflanzen wachsen, also einen natürlichen Prozess ablaufen, den man schließlich abbricht, um das Erntegut zur Nahrungsgewinnung zu nutzen. Gemeinsam mit Kulturpflanzen kommt Unkraut in die Höhe, Tiere können über angebautes Korn herfallen und die Ernte zerstören. All dieses sind natürliche Prozesse, die allerdings ohne den vorangegangenen Akt der Kultur, also das Anlegen des Feldes und das Ausbringen von Saat, nicht oder jedenfalls nicht so ablaufen können. Kultur in der Landschaft ist also immer im Zusammenhang mit Natur zu sehen.
    Menschlicher Einfluss umfasst die Selektion von Kulturpflanzen und Haustieren, die künstliche Bewässerung, Rodung vonWald und die Anlage von Feldern. All das sind kulturelle Leistungen, mit denen natürliche Prozesse ausgenutzt wurden und werden, vor allem das Wachstum von Pflanzen und Tieren. Zunächst entstanden allein durch natürliche Prinzipien, die auch ohne den Menschen wirkten, diejenigen Pflanzen und Tiere, die sich für eine Züchtung eigneten. Das Gedeihen von Pflanzen und Tieren blieb stets ein natürlicher Vorgang, ebenso wie das Wachstum von Unkraut, die Ausbreitung von Parasiten oder das erneute Aufkommen von Wald nach der Aufgabe einer Siedlung. Weitere natürliche Mechanismen, die auch nach einer Inkulturnahme von Land einwirkten, sind Erosion und Sedimentation, Bodenversalzung, Austrocknung von Böden, der Zerfall von Bauwerken der Menschen.
    Abb. 1-2 Lüneburger Heide am Wilseder Berg: Eine Waldregion wurde durch Nutzung zur Heide, die viele Menschen für «schöne Natur» halten.
    Manche Formen von Landnutzung, die stets eine kulturelle Leistung ist, werden für konform mit der Natur gehalten. Dabei stellt sich nicht nur das Problem einer begrifflichen Abgrenzung, sondern es kann daraus Unklarheit darüber erwachsen, was beimUmgang mit Umwelt erlaubt ist und was nicht. Das gilt zum Beispiel dann, wenn die eine landwirtschaftliche Produktion für «natürlich», «biologisch» oder «ökologisch» gehalten wird, eine andere hingegen nicht. Dann kann es passieren, dass Gebiete unter «Naturschutz» gestellt werden, deren schützenswertes Bild eigentlich das Ergebnis von kulturellen Einflüssen ist; prominentes Beispiel dafür ist die Lüneburger Heide
(Abb. 1–2)
.
    Bei diesem wenig differenzierten Umgang mit unserer landschaftlichen Umwelt ist es kaum möglich, gute Strategien für deren Zukunft zu entwickeln. Ohne klare Grundlage verschiebt sich die Entscheidungsgrundlage dazu nach Belieben. Wer legt fest, was in und mit Landschaft getan werden darf? Bei derartigen Entscheidungen kann es zu Willkür kommen: Dann wird auf undemokratischem Weg festgelegt, welcher Eingriff erlaubt ist, weil man ihn für «natürlich» oder «naturkonform» hält; anderes dagegen wird abgelehnt, weil es angeblich «der Natur» widerspricht oder schadet. Etwas zu tun, was «der Natur» dient, wird allgemein für ein Argument gehalten, mit dem man andere Ansichten übertrumpfen möchte. Dieses Handeln ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher