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Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Titel: Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
Autoren: C.H.Beck
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aber oft nicht rational zu begründen, Das, was wir als «Naturschutz» bezeichnen, schließt oft ein Eingreifen des Menschen ein, etwa durch Pflegemaßnahmen. Sie haben mit Natur nichts oder nicht viel zu tun, sondern sind Bestandteile der vom Menschen ausgehenden Kultur.
    Der Begriff «Natur» – als Bezeichnung unserer Umwelt oder von deren Elementen – umfasst also eine doppelte Bedeutung. Natur ist einerseits das natürliche Prinzip, das hinter allen Entwicklungsprozessen der Erde, auch dem Leben steht. Andererseits gibt es eine «schöne Natur», für deren Stabilität sich Menschen einsetzen. Beide Ansichten über Natur widersprechen sich. Das natürliche Prinzip schließt das Werden und Vergehen von unbelebten Strukturen und des Lebens ein, die «schöne Natur» indessen soll sich gerade nicht wandeln, sondern gewissermaßen eine stabile Kulisse für das Leben der Menschen sein. Dies ist ein Widerspruch, mit dem ein Naturwissenschaftler nicht umgehen kann. Er kann nicht einerseits den natürlichen Wandel beschreiben oder erklären und sich andererseits für die Bewahrung von«schöner Natur» einsetzen. Aus wissenschaftlicher Sicht muss man vom Wandel der Natur, vom Werden und Vergehen ausgehen. Die Bewahrung von «schöner Natur» ist immer nur dann möglich, wenn man aus ästhetischen oder ethischen Gründen mit geeigneten (kulturellen) Mitteln gegen natürliche Entwicklungen vorgeht. Es stellt sich heraus, dass die Ansicht, etwas sei «schöne Natur», eine Interpretation einer bestimmten Landschaft ist: eine Metapher oder ein bildlicher Begriff, der auf der Grundlage einer Interpretation gewählt wurde.
Vom Raum zur Landschaft, von der Wahrnehmung zur Wissenschaft
    Daraus lassen sich zunächst vier wichtige wissenschaftliche Aufgaben ableiten:
    1) Es ist herauszufinden, wie sich Natur oder natürliche Einflüsse auf Strukturen der Umwelt auswirken, also auf den Raum, der die Menschen umgibt.
    2) Der menschliche Einfluss ist zu charakterisieren, ganz gleich, ob er sich allein auf die Auswahl und den Anbau von Pflanzen und Tieren, die Umgestaltung von Räumen für die (land-)wirtschaftliche Nutzung oder die künstlerische Gestaltung von Gebieten bezieht.
    3) Eigenschaften und Entstehung von Metaphern, die auf Interpretationen oder Ideen des im Raum Gesehenen basieren, sind als solche aufzudecken und zu charakterisieren.
    4) Schließlich muss das Zusammenwirken dieser verschiedenen Faktoren dargestellt werden, wie es dem interpretierenden Betrachter des ihn umgebenden Raumes ins Auge fällt. Alle drei Komponenten, also das Wirken der Natur, der Eingriff des Menschen und die Interpretationen oder Ideen, die Menschen beim Betrachten ihrer Umwelt entwickelt haben, bestimmen Landschaft. Die beiden zuletzt genannten Komponenten, der Eingriff sowie die Interpretation, die mit Landschaft in Verbindung gebracht wird, sind unterschiedliche Aspekte von Kultur.
    Was viele Menschen eigentlich schützen wollen, wenn sie für «Naturschutz» eintreten, ist
eine
Landschaft in ihrer konkreten, oft einmaligen Ausbildung und nicht
die
Natur. Dies muss verdeutlicht werden. Denn der Begriff «Landschaft» wird in unterschiedlicher Weise und häufig ebenso unscharf wie «Natur» gebraucht.
    Landschaft als ein von Menschen erkannter Raum wird von einem Zentrum aus überblickt, dem Standpunkt des Menschen. Von dort reicht die Landschaft bis an den Horizont. Wo ihre Grenzen liegen, ist viel weniger wichtig, als von wo aus sie betrachtet wird. Landschaft als Raum, dessen man sich bewusst geworden ist, kann überall bestehen, im Gebirge und in der Ebene, auf dem Land oder auf dem Meer. Über Landschaft werden sich zunächst einzelne Menschen bewusst, also die Betrachter, die in ihrer Mitte stehen.
    In einem nächsten Schritt lassen sich daraus Ansichten ableiten, die von einer Gruppe von Menschen akzeptiert werden. Dabei sind Kompromisse zwischen einzelnen Menschen notwendig, etwa denen, die Landschaft nutzen, und anderen, die sie «nur» betrachten wollen oder sie als Heimat auffassen. Ein intersubjektiver Kompromiss zwischen diesen Menschen kann zu einem Konsens über eine Landschaft führen. An diesem Referenzzustand für die landschaftliche Umwelt des Menschen sollten sich Planungen für die Zukunft eher orientieren als an «der Natur», an einem Naturzustand oder einer «Potentiellen Natürlichen Vegetation». In Landschaft sollte nicht nur Natur bewahrt werden. Auch die Kulturleistungen, die zur Herausbildung von Landschaften
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