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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Dirk van Versendaal
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Brandursachenerforschung stellt erhebliche Anforderungen an die Spurensicherung, erläuterte der aus Hamburg angereiste Gerichtsmediziner am Nachmittag den Mitgliedern der Stader Mordkommission. Wer also exakte Auskunft verlange, möge sich in zweiundsiebzig Stunden wieder an ihn wenden. Vorerst aber dies: Indikatoren für eine vitale Verbrennung, Beleg also dafür, dass ein Opfer zu Lebzeiten gebrannt hat, sind ein erhöhter CO-Gehalt im Blut, Ruß in der Lunge, in Kehlkopf oder Luftröhre. Und dieser Mann war bereits tot gewesen, als man ihn auf seinen Scheiterhaufen gebettet hatte, die Verkohlung seiner Haut ein postmortaler Vorgang. So viel habe er auf seinem Seziertisch bereits erarbeiten können.
    – Wie lange hat unser Mann gebrannt, wollte der Kriminalhauptkommissar wissen. Die Ungeduld war seiner Stimme anzuhören.
    – Vielleicht fünf Minuten, vielleicht fünfzehn Minuten. Länger nicht. Wissen Sie, ein Mensch ist nur schwer zu verbrennen. Er besteht zu großen Teilen aus Wasser. Und diese Leiche lag in einer Mulde, inmitten von Feuchtwiesen.
    Was entschieden für ortsfremde Täter spricht, sagte sich der Oberkommissar. Bis zum Tod ihres Opfers hatten die ihr Werk offenbar mit der Zielstrebigkeit von Profis vollbracht. Sie hatten gefoltert und ein Leben beendet. Alles Weitere aber, die versuchte Verbrennung, war das Werk von Dilettanten. War das laienhafte Treiben beabsichtigt? War hier eine falsche Spur gelegt worden? Und: Welche Gründe konnte es geben für diesen Überschuss an roher Gewalt?
    – Lauter Fragen, keine Antworten, murmelte der Oberkommissar, als er bei der letzten Besprechung des Tages in die rätselnden Mienen seiner Mitarbeiter sah. Doch selbst ein abgeklärter Fahnder macht sich so seine Gedanken und mutmaßt – nicht offiziell natürlich –, auch wenn er keinerlei Beweise in Händen hält.
    – Unerlaubter Anbau von genverändertem Raps, schlug er vor, wie wär’s damit? Der Tote ist den Genversuchen der niederelbischen Getreide-Mafia auf die Spur gekommen und wurde beseitigt.
    Komplett aus der Luft gegriffen war seine Theorie nicht, wie der Kommissar fand. Gehörte doch das Feld, auf dem der Tote gefunden wurde, zu den Liegenschaften des Jorker Obstbauversuchszentrums. Der Einwand des Kriminalassistenten aber kam so schnell wie überzeugend.
    – So sauer kann einen doch ein Rapsfeld nicht machen.
    Der Mann hatte Recht. Hier in seiner Heimat wurden Reitsättel geklaut, Terrakottapferde aus Gewächshäusern gestohlen, wurde im Suff aufeinander eingedroschen. Zu Tode gefoltert wurde in seinen ländlichen Gemeinden nicht. Brutale Morde wie dieser geschahen auf der anderen Seite der Elbe, in der Großstadt.
    – In Hamburg wird gegrillt, wir aber müssen hier die Kohle löschen, sagte er resigniert, als er seine Mitarbeiter in den Feierabend schickte.
    Und Jörg Kallweit? Der war kurz nach sieben Uhr, während vor einem Knick beim Asseler Schleusenfleth seine Fußspuren und sein Mageninhalt fotografiert wurden, von zwei Beamten der Polizeidirektion Döbelsen aus einem unruhigen Schlaf gerissen worden. Zur Aufklärung der Frage, wer denn der Tote wohl sei, vermochte er nicht beizutragen. Hatte er doch, um Schlaf zu finden, zwei volle Gläser Cognac in seinen restlos entleerten Magen gekippt. Auf die leise geäußerten Vorhaltungen der Beamten antwortete er so barsch es ihm möglich war: Wenn ihr gesehen hättet, was ich gesehen habe, dann wärt auch ihr hinüber!

A uf quietschenden Gummisohlen durchschritt Sassie Linné den menschenleeren Flur, ging unter der Wanduhr hindurch, die halb drei zeigte, und blieb vor dem Schaukasten mit den ausgestopften Nagetieren stehen. Zwischen Dachs und Wiesel war auf einem Baumstamm ein Frettchen aufgestellt worden, dem beide Glasaugen fehlten. Wie können sie solche Ungeheuer in einer Schule ausstellen?, fragte sie sich. Der hellgrünen Wand entlang folgte sie einem Streifen Frühlingslichts, der durch die Milchglasfenster in den Korridor sickerte und sie ins Foyer führte.
    Sie trat vor den Kaffeeautomaten und warf ein Fünfkronenstück ein. Mit Vorfreude sah sie dabei zu, wie ein Pappbecher aus seiner Luke fiel und sich gluckernd mit der schwarzen Flüssigkeit füllte. Als sie mit ihrer Linken das Wechselgeld aus dem Schacht nahm, fuhr ihr der Schmerz durch den Arm. Am Vormittag hatte sie sich den Daumen in der Küche der Schulkantine verbrüht. Beim Abgießen des Nudelwassers war ihr der Topf aus den nassen Händen gerutscht.
    Mit kurzen
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