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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Dirk van Versendaal
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will nicht, dass wir über Nacht alle ersticken. Jetzt waren die Augen ihrer Mutter geschlossen. Mit einer Hand griff sie in das Violett der Samtdecke auf dem Bett.
    Die fremde Frau mit dem Kopftuch richtete sich auf und begann, ihre Mutter zu küssen. Erst am Busen und am Hals, dann auf den Mund. Nun setzten sich auch die beiden Männer in Bewegung. Der eine von ihnen trat mit seiner Kamera auf das Bett zu. Sein schwarzer Bart wippte beim Gehen. Gut, sagte er, gut. Er sagte es mit einem viel zu langen U.
    Sie schlich zurück in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Stieß das Fenster auf, sprang hinaus und nahm den Weg zum Bastionswall. Schuhe hatte sie nicht angezogen, so musste sie auf jeden ihrer Schritte achten. Hier lagen oft Scherben von aufgeschlagenen Flaschen auf den Wegen. Als sie den Wall erklommen hatte, sah sie, dass Ove und Federica schon die Holzbretter für das Floß auf das nasse Gras am Ufer des Stadtgrabens geschleppt hatten. Orangerot leuchtete Federicas Haar im Sonnenlicht.
    Es war so heiß geworden, dass sie sich vornahm, sofort und mit all ihren Kleidern ins Wasser zu springen.

E s war vier Uhr früh, Graupelschauer gingen auf Elbmarsch und Moor nieder, als der Rapsbauer Jörg Kallweit die Landgaststätte »Zur Pfanne« in Drochtersen verließ. Dort hatte er lange acht Stunden auf Einladung des Kreisbauernverbandes Stades verbracht. Im Laufe des an Debatten reichen Abends war es in der Hauptsache um die Frage gegangen, wie die geplante Fahrrinnenvertiefung der Elbe zu verhindern wäre. Die Elbvertiefung Nummer neun, wohlgemerkt.
    Sämtliche Bauausschüsse, Demonstrationen und Kutter konvois gegen alle bisherigen Elbvertiefungen waren ge scheitert, abgelehnt, gestrandet. Damit solches nicht erneut geschehe, so die Absicht des Arbeitskreises, wollte man den Abend nutzen, um die Planung einer Großdemonstration anzugehen.
    Erwartungsgemäß hatte sich auch die Fraktion der Vertiefungsanhänger eingeschlichen, diesmal in Person des Zahlstellenleiters der örtlichen Sparkasse. Bis zum Hemdkragen hoch in selbstgefällige Besserwisserei verstaut, appellierte er an den Menschenverstand und das Wohl einer Gemeinde, die an Schiffsverkehr, steigender Tonnage, ausgehobenem Elbschlick nur gewinnen könne. Er, Jörg Kallweit, in der Rednerliste unmittelbar folgend, hatte sich an den Bankier gewandt, mit Spott und dem Hinweis, er werde sich, seine Effektenabteilung, seine drei Töchter sowie sein schniekes Häuschen samt einwohnendem Schwiegervater demnächst von einer Riesenwelle bei satten sieben Metern über Normalnull in die See gespült sehen! Jede weitere Ausschleifung des Flussbettes würde die Elbe bei Tidenhöchststand und Orkanböen aus Nordwest in einen reißenden Strom verwandeln!
    Als die Abgeordnete der Grünen der Runde mit abenteuerlichen Vorschlägen wie Straßensperren und Sitzblockaden kam, hatte Kallweit klug eingewandt, eine Elbvertiefung lasse sich nicht durch Sponti-Aktionen zu Lande verhindern. Das müsse direkt auf dem Wasser geschehen. Woraufhin der Aktionsausschuss sich nahezu einstimmig auf eine Großdemonstration auf dem Fluss geeinigt hatte. »Fackeln auf der Elbe« sah die Bildung einer Menschen-, Boots- und Lichterkette vor, die von Wischhafen bis nach Glückstadt reichen sollte. Eine wacklige Angelegenheit, zugegeben, und ein logistisches Meisterwerk, das der akkuraten Planung weit im Vor feld bedurfte. Leider war der Abend bereits fortgeschritten und keines der zu dieser Zeit noch anwesenden Mitglieder des Komitees noch in geeigneter Verfassung, die genaue Zahl der für ein solches Unterfangen benötigten Wachsfackeln oder gereckten Armpaare auszurechnen. Und wie viele Schlauchboote und Schwimmpontons würde es brauchen, um auf einer Länge von viereinhalb Flusskilometern eine geschlossene Kette zu bilden? Nimm dein Geodreieck zu Hilfe!, hatte jemand aus der übertrieben gut gelaunten Runde ihm zugerufen, bevor es zu einem Streit über die geeignete Wortwahl für die Forderung nach einer umfassenden Umweltverträglichkeitsuntersuchung sowie zu den Gefahrenquellen einer Fahrrinnenvertiefung kam …
    Oh, mein Kopf dreht sich, dachte Kallweit am Steuer seines Autos, mir werden die eigenen Gedanken zum Rätsel. Im Lauf des Abends hatte er sechs Gläser Bier getrunken, zum Zwecke der Diät außer mandelgefüllten Oliven und Salzstangen nichts gegessen und in diese Leere noch ein paar Gläser Oldesloer Korn geschüttet. Trotz alledem hatte er sich zu später Stunde
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