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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Dirk van Versendaal
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Schlucken trank sie vom Kaffee und belauschte, wie neben ihr vier Mädchen über irgendeinen der Lehrer sprachen. Zeig ihm doch, was für ein Teufelsscheiß er ist, sagte die eine. Was denkt der Quetschhoden sich eigentlich, fragte eine andere. Zeternd verzog sich das Quartett in Richtung Physiksaal.
    Unschlüssig durchwanderte sie das Foyer. Keiner der Schüler beachtete sie. Sassie, die Kantinenhilfe, das bin ich. Die Frau mit der schmuddeligen Schürze und dem Küchenhäubchen. Sie studierte die Anschlagtafel, die mit Zetteln von Pilates-Kursen und Orientalischen Tanz-Workshops gepflastert war. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie ein Junge sich aus einer Gruppe löste und auf sie zukam.
    – Hej, sagte er zu ihr.
    – Hej, sagte sie misstrauisch und sah ihn kurz an. Ein blonder Flaum wuchs an seinem Kinn. Höchstens siebzehn, dachte sie.
    – Ich …
    – Ja?
    – Du bist doch neu hier, oder?, fragte er.
    – Ja, ich bin neu, wieso?
    – Du siehst super aus, sagte der Junge. Ihre Blicke trafen sich.
    – Lass es, sagte sie. Was willst du?
    – Du bist eine von den Kettenhäftlingen, was?
    Sie wandte sich ab, kreuzte die Arme vor der Brust. Er ist unverschämt und errötet nicht einmal, dachte sie. Und wahrscheinlich gewinnt er gerade eine Wette.
    – Verschwinde, sagte sie. Verpiss dich. Sie hob den Arm zum Schlag, aber er verzog sich mit einem Grinsen auf dem Gesicht.
    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Heidi. Atemlos vom Treppensteigen erzählte sie ihr von einem Neuntklässler, der in ihrem Behandlungszimmer aufgetaucht war. Ein Fünfzehnjähriger, ein Ritzer. Wunden überall, sagte sie. Zum Fürchten.
    – Was am Schmerz wohl so lustig sein kann?, fragte Sassie.
    Heidi sah sie mit großen Augen an.
    – Gute Frage, sagte sie schließlich. Geistesabwesend kramte sie aus ihrer großen Handtasche zwei Blatt Papier hervor und steckte sie an der Anschlagtafel fest.
    Läusepolizei, las Sassie. Rollstuhltanz. Dass Heidi die Nachrichten anderer unter den ihren verschwinden ließ, schien sie nicht zu kümmern.
    Heidi drehte sich auf der Stelle und fragte so direkt, wie sie immer fragte:
    – Warum lädst du dir niemanden ein? Nachmittags, abends? Du weißt, zweimal die Woche bin ich bis spät auf diesen Schulterminen.
    Sassie erschrak. Was sollte sie antworten? Dass da niemand war, den sie sehen, in ihrer Nähe haben wollte? Menschen mögen es, wenn man ihnen Sachen über sich erzählt, aber nur gerade eben genug. Man hatte offenherzig zu scheinen und an den passenden Stellen zu lachen, darum ging es. Nichts Unverdauliches preisgeben, nichts, was zu große Anteilnahme fordern könnte. Und Männer? Denen hatte sie lange schon Telefonnummern gegeben, die erfunden waren.
    Sprachlos stand sie mitten in der Eingangshalle, die sich plötzlich geleert hatte. Heidi wartete sicherlich noch auf eine Antwort von ihr.
    – Mal sehen, sagte sie, bemüht um einen zuversichtlich klingenden Ton. Aber danke.
    – Wie viele Wochen hast du noch vor dir?, fragte Heidi. Ohne auf die Antwort zu warten, schon im Fortgehen, setzte sie hinzu:
    – Vier Wochen? Fünf Wochen? Alles halb so schlimm. Das stehst du durch.
    Es soll tröstend klingen, dachte Sassie, aber wenn ich misstrauisch wäre, dann könnte ich auch Bedauern in ihren Worten hören. Bedauern darüber, eine merkwürdige Fremde in ihrer zu kleinen Wohnung aufgenommen zu haben. Sie trank einen letzten Schluck bitteren Kaffees, schloss die Augen und sah in die ausgedörrten Augenhöhlen eines Frettchens.
    Bevor sie die Nicksta-Schule über den Hintereingang verließ, überprüfte sie, ob Kleid und Strickjacke gerade saßen, ob die Hose am Knöchel beulte, dort wo der Sender war. Sie roch an ihren Haaren und fand, dass sie nach Bratfett und Kaffee stanken und dass, wenn noch einmal ein Möchtegern sie anquatschte, sie sofort zutreten würde.

K lugen Köpfen steht immer auch ihr Scheitern vor Augen. Folglich ist es kein Zeichen von Feigheit, sagte sich Knut Giovanni Myrbäck beim Erwachen, dass ich verdammte Angst habe.
    Im Hof waren lärmend die Bauarbeiter am Werk, wie seit Tagen holte ihr Hämmern und Bohren ihn aus dem Schlaf. Den Kragen seines Nachthemds hatte er über Nacht feucht geschwitzt, die Schmerzen in seinem Kopf waren auf ihre Zentren zurückgewichen. Er befühlte die daumengroßen Beulen über beiden Ohren, er tastete nach seinem Becken. Dort, wo er in dem Baustellenschacht aufgeschlagen war, hatte die Haut sich bläulich marmoriert.
    Auf dem Küchentisch fand er
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