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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Dirk van Versendaal
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zog an einer Zigarette. Hin und wieder streifte sie die Asche auf einen Unterteller und blickte auf ihre Uhr, um zu sehen, ob die Zeit überhaupt verging.
    Die ersten Tage hat sie geputzt. Jede kleine Ritze, jedes Gewürzglas, von der Haustür bis zum Bad und wieder zurück. Die Lampenschirme hat sie abgestaubt, die Bilder an den Wänden. Hat lose Knöpfe angenäht und ein Dutzend Bücher gelesen. Bis einer der Romane in den anderen überging, die Handlung des letzten Krimis sich mit dem nächsten verwob. Ein Mangel an Bewegung schwächt den Verstand, das weiß man doch. Am Ende fehlt die Konzentration selbst für einfachste Dinge.
    Mit einer wütenden Kreiselbewegung drückte sie die Zigarette auf dem Teller aus, stand auf und zog Strümpfe und Turnschuhe an. Sie steckte eine ihrer blauweißen Tabletten in den Mund und spülte sie mit einem Schluck Wasser aus einer Plastikflasche hinunter. Sie zog sich die Jacke über, setzte eine Strickmütze auf, die Malin ihr geschenkt hatte, und verließ die Wohnung.
    Die Wände des Fahrstuhls waren mit Zeichnungen bedeckt, über und über. Wer in diesem Haus malt so schlecht?, fragte sie sich. Wer ist so kindisch, Dutzende von Schwänzen auf Kabinenwände zu kritzeln?
    Der Aufzug hielt federnd im Erdgeschoss. Langsam schob sie die Tür auf. Vor dem Eingang zum Fahrradkeller lag ein brauner Kater. Er gehörte zu der chilenischen Familie im ersten Stock, zog es aber vor, seine Nächte auf den Stapeln neuer Telefonbücher zu verbringen, die seit Wochen hier verstaubten, weil niemand Verwendung für sie hatte.
    Sassie trat aus dem Aufzug, ließ aber ein Bein zwischen Tür und Rahmen stehen. Bis hierhin und nicht weiter, das wusste sie. In der Vertikalen lässt der Sender sich austricksen, der Justizbeamte hatte es ihr augenzwinkernd gesteckt. Bis nach Australien.
    Es war still im Treppenhaus, nur aus der Waschküche war das Schleudern einer Maschine zu hören. Winzige Staubpartikel schwebten im Licht der Treppenhausbeleuchtung, von irgendwoher musste es ziehen. Sie beugte sich vor, in der Hoffnung, durch die Haustüre auf den Schnee zu blicken, der seit dem Abend in dicken, feuchten Flocken fiel, aber was sie in der Scheibe sah, war nur ihr eigenes, schemenhaftes Spiegelbild.
    Als sie den Kopf wendete, fühlte sie Schwindel aufsteigen, und Wärme. Das Zeugs fing an zu wirken. Sie trat in den Aufzug zurück und fuhr hinauf in ihr Gefängnis im sechsten Stockwerk.

H interher ist es immer dasselbe. Myrbäck wunderte sich über den seligen Ernst, über die Konzentration, mit der er seiner Arbeit in entscheidenden Momenten nachzugehen vermochte. Im Grunde war er eine lächerliche Figur, die nächtens zwischen Autos entlangrobbte und Bleche aufbohrte. Die unter Angstattacken litt, unter einem teuflischen Jucken der Kopfhaut, einer psychogenen Begleiterscheinung der Nervosität. Jeder Beruf, tröstete er sich, hat seine eigenen Neurosen.
    Er passierte das Großklinikum, wählte einen Schwenk vorbei an den Wohnblöcken von Osdorf, und mit jeder weiteren Kreuzung, die er auf seinem Weg in die Innenstadt hinter sich ließ, wurde er ruhiger. Das Jucken seiner Kopfhaut wich einem wärmenden Rieseln. Um den Geruch von Popcorn und fauliger Nässe aus dem Wagen zu lüften, öffnete er alle vier Fenster gleichzeitig. Auf der Rückbank flatterte das Sommerkleid im Fahrtwind.
    Mit einer Hand tastete er nach dem Radio, fand aber anstelle der Stereoanlage nur einen Bildschirm. Sein Mittelfinger strich über die glasige Fläche hinweg, bis er eine Erhebung erfühlte und drückte. Der Monitor sprang an. Grüne und rote Striche flatterten sich zurecht, dann gaben sie die Straße, die vor ihm lag, in einem digitalen Negativ wieder. Zwei Fußgänger, die einen winzigen Hund an der Leine hinter sich herzerrten, glühten in Scharlachrot. Wer fährt mit einer Wärmebildkamera durch die Straßen?, fragte er sich. Sondermodell, Holzapfel hatte es ja gesagt.
    In Regennächten sah die Straße, in der Jan lebte, noch finsterer aus. Sie duckte sich in den Schatten des Messeare als, einer tristen Gegend in jeder Hinsicht. Holzapfel aber war sturstolz auf seine bestenfalls fünfzig Quadrat, die er vor Jahren gefunden, sie mit Bett, Stühlen und Tisch sowie jeglicher Computerelektronik samt Kabelwirrwarr ausgestattet hatte; dabei war es im Großen und Ganzen geblieben. Besonderes Glück bereitete ihm, kein Mensch verstand warum, die Aussicht von seinem Schlafzimmerfenster: Blick auf Tor Zwei des Schlachthofs und die
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