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Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Dirk van Versendaal
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Reststoffsammelstelle des Fleischgroßmarktes Hamburg AG. An Wochenenden weckte einen der klirrende Betrieb an den Altglascontainern, in der Woche rangierten ab vier Uhr früh schwere Lieferwagen, um ihre stinkende Ladung unter dem Geschrei von Krähenschwärmen zu löschen.
    Den gestohlenen Audi direkt vor Holzapfels Mietshaus abzustellen, wäre die passende Antwort auf sein Nichterscheinen an diesem Abend. Der fette Q7, ein bronzener Pfahl im Fleische der verarmten Nachbarschaft, Blickfang für jede kreuzende Polizeistreife. Myrbäck zögerte. Schließlich fuhr er in das neue Parkhaus, das an die fensterlosen Ziegelwände des Schlachthofs gestülpt worden war wie ein Joghurtbecher. Im untersten Kellergeschoss stellte er den Wagen ab. Sorgfältig breitete er zwei Schichten Grillfolie unter der Frontscheibe aus, bevor er Wagen und Parkhaus verließ. Sicher ist sicher, dachte er.
    Im Freien duftete es nach Würstchen. War das ein Blendwerk seiner gespannten Nerven? Nein, es war die Nacht zum Dienstag, ihm fielen die Klagen Holzapfels ein. Da roch das ganze Viertel wie eine Feldküche voller Knackwürste, da wurden im Schlachthof die Wiener und Frankfurter gebrüht, die Jagdwürste gepökelt. Wer in diesen Nächten seine Fenster nicht schloss, schaffte den süßlichen Gestank am nächsten Tag kaum aus seiner Wohnung heraus.
    Holzapfel reagierte nicht auf das Klingeln. Er war fort. Oder er schlief. Oder war tot, Myrbäck war es gleichgültig. Als er aus dem Hauseingang trat, schlug der Wind ihm einen Schauer ins Gesicht. Er öffnete blinzelnd die Augen und sah auf der anderen Straßenseite zwei Männer stehen. Es kam ihm vor, als starrten sie ihn an. Unschlüssig blieb er vor dem Treppenaufgang des Hauses stehen. Er sagte sich: Wer stehen bleibt, zeigt Furchtlosigkeit, beweist Unschuld. Wer abhaut, hat die Hosen voll. So ist das seit Kindertagen.
    Vis-à-vis traten die Männer zwischen geparkten Autos hervor. Sie kamen direkt auf ihn zu, gar kein Zweifel. Myrbäck rannte los. Die Männer rannten hinterher.
    Er kannte die Gegend von seinen Dauerläufen. Er wusste, dass sein eingeschlagener Fluchtweg am Ende der rückwärtigen Schlachthofmauer in eine scharfe Linkskurve münden und sich auf eine Verladestelle der Bahn öffnen würde. Er zog den Kopf ein und legte an Tempo zu, merkte aber sogleich, dass seine Schuhe zum Laufen schlecht taugten. Die Fußsehnen schickten Schmerzen bis hoch in seinen Hinterkopf; der Haken, den er knapp hinter der Kurve in Richtung der LKW -Waschanlage schlug, geriet zu einem Schlittern. Als er endlich den Schatten der haushohen Halle erreichte, bremste er abrupt ab. Er schnappte nach Luft und sah sich um. Vor ihm auf dem Boden lagen armdicke Schläuche, deren Enden in schweren Anschlussventilen an der Hallenwand steckten. Tagsüber rangierten hier die Kühltransporter des internationalen Fleischverkehrs, um per Hochdruckstrahl von den Überresten ihrer verderblichen Ladung gereinigt zu werden.
    Keine Schritte waren zu hören, kein Keuchen. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen die metallene Außenwand der Waschhalle. Sein Instinkt sagte ihm, dass er sich über die kurze Fluchtstrecke unmöglich einen bedeutenden Vorsprung hatte erkämpfen können.
    Er begriff nicht, was ihm da eben widerfahren war. Wenn er nur die Ruhe hätte zum Denken. Vielleicht fiele ihm ein triftiger Grund ein, weshalb er sich wie eine Motte durch die Nacht jagen ließ. Was wollten die Männer von ihm? Einfach nur mal wieder in ein Gesicht schlagen, weil ihnen danach ist? Weil ihnen seine Nase nicht passte? War er das Opfer einer Verwechselung?
    Er spürte ein schwaches Vibrieren in seinem Rücken. Kaum hörbar wurde eine Metalltüre am Ende der Halle aufgeschoben. Die Männer nahmen also an, er hätte sich in der Waschanlage verkrochen.
    Sollte er um Hilfe rufen? Kein Mensch war in Rufweite unterwegs, und wenn, dann nur vereinzelte Gestalten, die über den Bahnsteig strichen und fröstelnd auf ihre Nachtzüge nach Pinneberg warteten. Oder sollte er forsch aus dem Schatten seines Verstecks treten, seinen Verfolgern frontal begegnen? Was ist los, Jungs, ihr seid hinter dem Falschen her!
    Direkt hinter sich hörte er flüsternde Männerstimmen. Seine Jäger standen im Inneren der Waschanlage, von ihm getrennt bloß durch ein paar Millimeter gewelltes Stahlblech. Die Angst faltete seinen Magen zu einer Kugel. Wenn er nur unbemerkt die Parkreihen von Lastwagen und aufgebockten Containern erreichen könnte, keine zwanzig Meter
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