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Die Eisfestung

Titel: Die Eisfestung
Autoren: Jonathan Stroud
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sie es verstanden haben. Vielleicht lag es an den Scheinwerfern, oder dass Dad hier war, ich weiß es nicht, aber ich konnte mich nicht richtig ausdrücken. Ich muss mich wie ein Idiot angehört haben...«
    Er starrte in die Dunkelheit, vielleicht hatte er weit in der Ferne die Lichter eines Hauses entdeckt. »Hier ist alles vorbei für uns«, sagte er, »und da draußen gibt es nichts für mich. Deshalb habe ich beschlossen, dass... aber das ist trotzdem nicht einfach... und ich hab’s noch nicht fertiggebracht.«
    Emily bemerkte, dass sich im Schatten des Durchgangs unter ihr etwas bewegte. Jemand war vom Turm heruntergestiegen, um ihre Flucht zu verhindern. Oder vielleicht fürchteten sie, dass sie auch damit drohen würde, in die Tiefe zu springen. Jedenfalls zog sich die Person sofort wieder zurück. Emily kümmerte sich nicht weiter darum, sie schaute unverwandt Marcus an.
    »Aber wenn du das machst«, sagte sie laut, »dann verpasst du doch das Beste.«
    Die Gestalt auf dem Mauervorsprung schaute nicht mehr in die Ferne, sondern blickte Emily an. »Und was soll das sein?«
    »Glaubst du, dass sie das verheimlichen können, was heute hier passiert ist?« Emilys Stimme wurde immer selbstsicherer, während sie sprach. Sie wusste jetzt, was sie sagen würde. »Wo sie alle diese Leute zusammentrommeln mussten, aus ganz West Norfolk, um uns hier zu kriegen? Wir waren nur zu dritt, Marcus – nur wir drei, das musst du dir mal klar vor Augen halten -, und wir haben einen ganzen Tag lang in unserer Festung der Belagerung widerstanden. In unserer Burg! Sie sind am Morgen angerückt und wir haben bis zur Nacht ausgehalten. Obwohl sie die Mächtigeren waren. Glaubst du, das werden sie verheimlichen können? Ich glaub das nicht. Es wird morgen in allen Zeitungen stehen, nicht nur hier im Lokalteil. In allen Zeitungen. Und warum? Weil es noch nie eine solche Geschichte gegeben hat!«
    »Nicht seit vielen hundert Jahren, hier in dieser Burg«, sagte er, und seine Finger glitten aufgeregt über die Steine.
    »Oder irgendwo sonst. Nicht nur hier, Marcus. Egal wo. Das hier ist viel besser als die ganzen Geschichten, die in irgendwelchen alten Führern stehen, und das weißt du auch. Du und Simon, wie lang habt ihr sie mit euren Wurfgeschossen in Schach gehalten? Mindestens eine halbe Stunde – nur du und er, gegen eine große Übermacht des Feindes. Sie konnten eure Verteidigung nicht überwinden! Erst nach einem Angriff im Rücken haben sie es durch die Maueröffnung in die Burg geschafft, aber vorne sind sie an euch nicht vorbeigekommen, vergiss das nicht, Marcus.«
    Sie beobachtete ihn aufmerksam. Er nickte.
    »Und dann kommt noch dazu«, redete sie atemlos weiter, von ihrem eigenen Schwung mitgerissen, »dass du noch gar nicht alles weißt. Meinen Teil der Geschichte kennst du noch gar nicht. Während ihr zwei, Simon und du, an der Mauer beschäftigt wart, habe ich von meinem Fenster aus die zweite Belagerungsmannschaft gut beschäftigt. Ich habe sechs von ihnen von der Leiter geschmissen, indem ich Unmengen von Schnee über ihre Köpfe gekippt habe. Die sind ganz schön runtergepurzelt, das kann ich dir sagen! Das hättest du sehen sollen! Kopfüber in den Schnee, sechs Paar Beine in blauer Uniform haben herausgestrampelt! Willst du darüber nicht morgen in der Zeitung lesen? Solltest du aber.«
    Emily bekam allmählich Spaß an der Sache und begann, die Dinge fantasievoll auszuschmücken. »Und hast du die zwei Kerle gesehen, die es in deiner Eisfalle erwischt hat? Nein? Aber ich. Sie sind fast über das Geländer gestürzt, war echt unglaublich! Ein Polizist und ein Feuerwehrmann, kurz hintereinander, konnten sich gerade noch festhalten. Und dann war da noch der Typ, der in den Brunnen gestürzt ist – der hat es bedauert, dass er hinter mir her war, ich hab ihn ganz schön in die Falle gelockt... Du wirst doch nicht aufgeben, bevor du das alles gehört hast!«
    Emily brauchte eine Verschnaufpause.
    »In den Brunnen? Wirklich?«, fragte Marcus.
    »Was ich sagen will...«, fuhr Emily fort, »nach einem solchen Kampf ist es überhaupt nicht unehrenhaft, sich zu ergeben, wenn nur noch zwei Mann übrig sind. Es ist unehrenhaft, vor dem Feind davonzurennen, das hab ich inzwischen begriffen, und deshalb bin ich auch nicht geflohen, obwohl ich noch die Möglichkeit dazu hatte. Aber genau das würdest du tun, wenn du dich jetzt hier runterstürzen würdest.«
    Sie hatte alles gesagt, was zu sagen war. Marcus kauerte immer
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