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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons
Autoren: Patricia Holland Moritz
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exorbitant großen Firma war die Menge an Mitarbeitern merkwürdig, die das Unternehmen lange vor ihrer Rente durch ihr Ableben verließen. Es brauchte ihren speziellen Instinkt, um aus zahllosen Trauerannoncen, die übers Jahr in ihrer Berliner Zeitung abgedruckt wurden, eine Serie herauszulösen wie die Rückengräte aus einer Bachforelle. Mark hatte ihren Verdacht nun zum ersten Mal mit soliden Polizeiinterna unterlegt und baute auf Rebekkas maroden Sinn, von dem sonst niemand etwas wusste. Nur eine Handvoll Menschen wusste überhaupt etwas von Rebekkas Leben. Und selbst davon hätte sie gern einige weniger gehabt.
    Neben ihrem Gerechtigkeitssinn hatte sich Rebekka die Intuition für eine Geschichte anerzogen, der es sich nachzugehen lohnte. Ihr Traum war es gewesen, Journalistin zu werden, wie Frau Bresecke von gegenüber eine war. Doch in dem Land von damals waren Träume so limitiert wie das Land selbst, und so war sie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen. Journalismus hieße Bekenntnis zum Staat, hatte man sie belehrt wie ein Kind, das im Winter Kniestrümpfe tragen wollte. Und dieses Bekenntnis habe genau drei Buchstaben: S und E und D, Sozialistische Einheitspartei Deutschlands .
    Während sie an früher dachte, fiel ihr eine zweite Anzeige ins Auge:

    Wir haben unseren Vater verloren.
    Karl-Heinz Otto
    18. Februar 1951 – 26. März 2010
    In tiefer Trauer
    seine Kinder
    Ulrike, Jörn, Nils und Achim.
    Die Trauerfeier mit anschließender Beerdigung findet statt am 9. April 2010 um
    12 Uhr auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, Chausseestraße, Berlin-Mitte.

    Erneut fing Rebekkas Puls wie auf Knopfdruck an zu rasen. Diesmal hatten die Angehörigen des Verstorbenen am selben Tag wie die Firma inseriert. Bereits eine Woche nach seinem Tod stand der Termin der Beerdigung fest.
    Rebekka spürte eine gewisse Ernüchterung. Mark hatte seinen Verdacht gegenüber den Kollegen entweder nicht durchsetzen können oder ihn gar nicht erst zum Thema gemacht. Wären sie von einem Tötungsdelikt ausgegangen, würde der Körper obduziert werden und bis zur Freigabe noch in der Pathologie liegen.
    Rebekka stellte den Kaffee zur Seite. Sie nahm ihren Kalender zur Hand und trug sich den Termin der Beerdigung für den kommenden Freitag ein.

Kapitel 7
    Jetzt war er Leiter des Referats Verbrechensbekämpfung, Kriminalrat Nebel. Und er hatte ganz bestimmt anderes zu tun, als sich um die Befindlichkeiten seines Ex-Kollegen Mark Tschirner zu kümmern. Den hatte er nie ernst nehmen können, umso ernster hatte seine Frau den jungen Kollegen auf dem Grillfest der Polizeidienststelle genommen. Nichts war passiert, aber manchmal waren Blicke, leise Flirts und tausend scheinbar unbedeutende Fragen belastender für einen Ehemann als ein echter Betrug. Herausgeputzt hatte sich Sabine jedes Mal, wenn sich wieder die Gelegenheit ergab, an der Seite ihres Mannes auf Mark zu treffen. Fast 20 Jahre trennten sie vom Objekt ihrer Begierde, und das war für beide Männer nur schwer zu verstehen. Allerdings tat sich auch mit dem Verstehen der eine schwerer als der andere. Mark konnten die Avancen von Sabine Nebel ziemlich egal sein, außerdem lag das Grillfest mehr als ein Jahr zurück und war sicher bereits vergessen, deshalb klopfte er beherzt an Nebels Tür und trat ein.
    Nebel begrüßte ihn wieder mit diesem typischen Blick, an dem es nichts zu basteln gab. Egal, ob Nebel Freude oder Enttäuschung empfand, er schaute immer gleich aus seinen grauen Augen, und nur sein Mund formulierte Worte, die der jeweiligen Situation angepasst waren. Bei Marks Anblick sagte er statt eines Grußes: »Du vermisst mich ganz schön, oder?«
    Schwerfällig erhob er sich aus seinem Bürostuhl und klopfte seinem ehemaligen Mitarbeiter auf die Schulter.
    Â»Ja«, entgegnete Mark und nahm auf der anderen Seite des peinlich aufgeräumten Schreibtisches Platz. »So sehr wie ein Loch im Kopf.«
    Â»Setz dich ruhig!«, sagte Nebel ironisch. »Kaffee?«
    Â»Warum so förmlich? Ich dachte, du hättest Zeit, einen Happen essen zu gehen.«
    Â»Nix da, die Zeiten sind vorbei.«
    Â»Was habt ihr?«
    Â»Was du hast, möchte ich vorher wissen.«
    Nebel würde die alte Geschichte mit seiner Frau, diese Geschichte, die gar keine war, in jeder noch so kleinen Situation mit Rache vergelten. Mark blieb ganz ruhig, obwohl er
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