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Der Treffpunkt

Der Treffpunkt

Titel: Der Treffpunkt
Autoren: Eden Bell
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 Der Treffpunkt
    von Eden Bell
     
     
    Ich liebte es, Überstunden zu machen. Das lag zu einem großen Teil auch daran, dass ich einen verdammt coolen Job hatte. Seit einem halben Jahr war ich der Leiter der Schulbibliothek in der Handelsakademie/Handelsschule Brückern. Es ist schon verrückt, dass ich vor einigen Jahren dort noch die Schulbank gedrückt hatte. Nun war ich für die unzähligen Bücher in dieser wunderbar hellen – weil alles aus Glas – Bücherei zuständig. Morgens wurde ich meistens von wissbegierigen Erstklässlern begrüßt, die sich auf uralte gelbe Reclambüchlein stürzten. Shakespeare, Wilde, Dickens, sie alle waren Freunde für mich. Ich durfte mich auch nicht über die Arbeitszeiten beklagen. Manchmal konnte ich schon um drei Uhr nachmittags nachhause gehen. Aber nicht in diesem Monat. Es war Dezember und wir bekamen ein völlig neues EDV-System. Da das neue Programm mit dem alten leider nicht kompatibel war, mussten alle Daten von Hand eingegeben werden. Was auf gut Deutsch heißt, ich saß mit einer Liste vor dem PC und tippte die einzelnen Buchstaben mühevoll in den Rechner ein. Bald würden die Weihnachtsferien beginnen und es herrschte ein leichter Zeitdruck.
      An diesem Dienstag wurde es schon früh dunkel. Die Schüler und Lehrer waren bereits nac hhause gegangen, als sich auch der Hausmeister, Fred war sein Name, von mir verabschiedete. Da ich einen Zentralschlüssel hatte, konnte ich mir die Zeit selber einteilen und dann den Arbeitsplatz verlassen, wenn ich alles gewissenhaft erledigt hatte. Ich hatte keinerlei Verpflichtungen gegenüber einer Freundin oder einem Freund, weil ich schon seit Ewigkeiten alleine lebte. Meine Bleibe bestand aus einer kleinen Wohnung in Brückern, die mit DVDs, Videos, Büchern und CDs vollgestopft war. Das war meine Art zu leben, meine ganz persönliche Welt. Es gab nichts Schöneres, als sich ins Bett zu kuscheln, mit einem Buch in der Hand, Kerzenduft im Raum und einer Tasse Tee am Couchtisch. Die größten Höhepunkte bestanden immer darin, wenn mich mein bester Freund Oliver besuchte oder wenn wir gemeinsam etwas unternahmen. Er war nun schon seit sechs Monaten mit Sebastian, einem sehr gut aussehenden Burschen, zusammen. Die beiden waren wie ein Herz und eine Seele.
      Ich biss in eine Semmel, die mit Butter und Käse gefüllt war. Ich bearbeitete gerade den Date nsatz Nr. 656, als ich einen Schluck Kakao zu mir nahm. Unachtsam wie ich war, stellte ich den Becher neben die Tastatur und warf ihn mit dem linken Ellbogen um. Der Inhalt ergoss sich zum Glück nicht über die Tastatur, sondern auf den Tisch und von dort aus auf den Teppich. Obwohl ich ein gottesfürchtiger Mensch war, stieß ich laute Flüche aus, die meiner Oma die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten.
      Hilfesuchend schaute ich mich um. Gott sei Dank hatte ich in meinem Rucksack eine Packung Papiertaschentücher. Doch auch die besten, weichsten und 4lagigen Softis konnten die Unme ngen an Kakao nicht aufsaugen. Ich biss die Zähne zusammen, murmelte das Wort „Scheiße“ vor mich hin und machte mich auf den Weg in die Besenkammer, wo die Putzutensilien aufbewahrt wurden. Mit einem schmutzigen Taschentuch in der Hand ging ich ins Kellergeschoss, wo sich die Schülergarderobe befand. Ein Stockwerk tiefer war der Turnsaal inklusive den Umkleidekabinen und Duschen. Es war ein langer Gang und ich konnte mich nicht mehr erinnern, welche Tür die richtige war, da ich bis jetzt noch nie das Vergnügen hatte, nach Putzfetzen zu suchen. Die Kammer mit den Turngeräten war jedenfalls nicht abgeschlossen. Ich ging hinein und machte Licht. Hier gab es eine weitere Tür und ich öffnete auch diese. Ich erschrak nicht, als ich den Duft von Chlor vernahm. Das war normal. Viele Putzfrauen verwendeten Chlor, um Fliesenböden zu schrubben. Ein zuerst sanfter, dann schärferer Wind kam mir entgegen, warm, dampfend. Hier gab es doch gar kein Bad! Hatte jemand vergessen, das Wasser abzustellen? Ich fand keinen Lichtschalter, sah aber am Ende des Raumes ein schwaches Leuchten. Die Tür fiel ins Schloss. Ich befand mich in einem schmalen Gang, der gefliest war. Ich ging ein paar Schritte weiter und betrachtete die Wassertropfen auf dem Boden. Es erinnerte mich an den Eingang zu einem Hallenbad.
      „Was soll das werden?“ Ich sprach mit mir selber, um dieses ungute Gefühl in meiner Mage ngegend zu verdrängen. Die Duschen befanden sich doch auf der anderen Seite, gleich neben dem
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